Faun – Eden

Am 24. Juni ist das neueste Album der Münchner Pagan Folk-Gruppe Faun erschienen. Es ist mit 72:12 Minuten das längste der Bandgeschichte und wird von einem 70-seitigen Booklet begleitet, das von diversen Künstlern gestaltet wurde und neben allen Liedtexten viele Hintergrundinformationen zu den einzelnen Liedern enthält. Thematisch geht es in allen Liedern des Konzeptalbums um den Garten Eden, den Faun von verschiedenen kulturellen, musikalischen und mythologischen Perspektiven her beleuchten.

Das Etikett „Pagan“, das Faun für ihre Musik selbst geschöpft haben, um ihre Naturverbundenheit auszudrücken, findet Oliver Pade mittlerweile problematisch, wie er der Musikzeitschrift „Sonic Seducer“ (Sonderedition Mittelalter-Musik 3, 01/2011) berichtete: „Einerseits sind wir von unserer Überzeugung sehr religiös und stehen auch dahinter, die Leute zum Nachdenken und Tiefergehen zu animieren. Andererseits wurde Pagan in den letzten Jahren auch oft als Aushängeschild für Sachen genommen, die ich nicht unbedingt vertreten kann. […] Es geht uns einfach nicht darum, möglichst viel Met zu trinken und ‚Sch*** Christen‘ zu rufen. Bei unserer letzten Akustiktour haben wir viel in Kirchen gespielt und ich muss gestehen, die besten Diskussionen, die ich seit langem geführt habe, waren mit Pfarrern. […] Mit dem Begriff Pagan werden teils eben auch Leute abgestoßen, die sehr interessant sind. Deshalb sind unsere Wurzeln und unsere Denkweise aber immer noch völlig mit der Natur verbunden.“

Tracklist: 1. Lupercalia (3:15) | 
2. Zeitgeist (4:01) | 
3. Iduna (3:19) | 
4. The Butterfly (1:33) | 
5. Adam Lay Ybounden (4:35) | 
6. Hymn to Pan (6:54)
 | 7. Pearl (5:04) | 
8. Oyneng Yar (5:31)
 | 9. Polska Från Larsson (4:35)
 | 10. Alba (7:15)
 | 11. Ynis Avalach (5:06) | 
12. Arcadia (7:14)
 | 13. The Market Song (5:50) | 
14. Golden Apples (7:34)

Mit Lupercalia haben Faun einen Text aus Ovids „Fasti“ vertont, in dem der Dichter diverse römische Feste beschreibt. (Es sind allerdings nur die Monate Januar bis Juni enthalten, da Ovid nach seiner Verbannung keinen Zugriff auf die römischen Bibliotheken und wohl auch keine Motivation mehr hatte, das Werk fertigzuschreiben.) Der Gedichtausschnitt, den Faun gewählt haben, handelt von einem Fest zu Ehren der Juno und des Faunes Lupercus (= griechisch Pan). Das Lied klingt mystisch, unterstützt durch den Chor der Mediæval Bæbes und die immer schnellere Wiederholung der Textzeilen „Ipse Deus nudus nudos iubet ire ministros“ („Der nackte Gott [Lupercus] befiehlt seinen Dienern, nackt zu gehen“).

Zeitgeist beschäftigt sich mit der Verbindung zur Natur, die vielen Menschen in unserer „modernen Zeit“ verloren gegangen zu sein scheint. Es vermittelt die Einsicht, dass wir, die Menschen, ja auch Teil der Natur sind. In einem mitreißenden Instrumentalteil setzt ein gesprochener Text auf Englisch ein: „you’re not in a fight against nature, […] there’s nothing to conquer, it’s all of you“.

Ähnlich mitreißend geht es mit Iduna weiter, das von der nordischen Göttin Iðunn („die Verjüngende“) handelt – der Göttin der ewigen Jugend und Hüterin der goldenen Äpfel, die den Göttern Unsterblichkeit verleihen. Der vertonte Textauszug entstammt dem „Hrafnagaldr Óðins“ („Odins Raben-Zauberspruch“), einem isländischen Gedicht im Stil der Lieder-Edda.

The Butterfly ist ein Arrangement des irischen Instrumentalstücks „The Butterfly Jig“. Im Booklet berichtet Oli, dass er beim Spielen des Stücks tatsächlich einmal einen schwarzen Schmetterling in seinem Zimmer entdeckt hat.

Das Instrumetalstück geht nahtlos in das mittelenglische Gedicht Adam lay ybounden über, das aus dem Sloane Manuscript 2593 (15. Jahrhundert) stammt, selbst aber wohl noch älter ist. Es steht in der Tradition der „Felix Culpa“ („Glückselige Schuld“) nach Thomas von Aquin (Summa Theologica III), der zufolge die Erlösung durch Christus erst dadurch ermöglicht wurde, dass Adam den Apfel genommen und damit die Erbsünde auf sich geladen hat. Das Lied ist eines meiner Favoriten auf der CD – nicht nur wegen des mitreißenden Folk-Rhythmus und des schönen Zusammenspiels der männlichen und weiblichen Stimmen, sondern auch – ich gebe es ja zu – wegen meines persönlichen Mittelenglisch-Faibles.

Hymn to Pan verbindet zwei Texte miteinander: eine Anrufung an den griechischen Hirtengott Pan von den beiden amerikanischen Musikern Robert N. Taylor und Nicholas Tesluk, die Faun durch B’ee von der Band „In Gowan Ring“ kennen gelernt haben, und einen Auszug aus dem Gedicht „In the Forest“ von Oscar Wilde (1854-1900). Olis Gesang ist sehr ruhig; er verschmilzt mit Fionas Hintergrundgesang und der verspielteren Melodie zu einer Einheit, die in mir das Bild eines Sommerabends nach einem heißen Tag entstehen lässt. (Überhaupt ist das Album sehr sommerlich geraten – als hätten die Faune nicht nur den Veröffentlichungstermin des Albums bewusst in den Sommer gelegt, sondern auch das derzeitige Sommerwetter bestellt.)

Mit Pearl haben Faun einen Auszug aus dem Gedicht „And Then No More“ des irischen Dichters James Clarence Mangan (1803-1849) vertont. Darin wird eine unerfüllte Liebe u.a. als „Eden’s light on Earth“ beschrieben. Das orientalisch klingende, verträumt wirkende Lied geht in einen fremdsprachigen Text über, der sich leider nicht im Booklet findet.

Oyneng Yar ist ein osmanisches Volkslied, das von Jungen und Mädchen erzählt, die in einem paradiesischen Garten gemeinsam spielen. Die Melodie ist mitreißend-stampfend; darüber liegt eine verspielte, schnelle Flötenmelodie. Erstaunlicherweise klingt „Oyneng Yar“ weniger „orientalisch“ als „Pearl“, dafür „erhabener“ und auch fröhlicher.

Darauf folgt Polska Från Larsson, eine schöne, verspielte, frühlingshafte Polka.

Das nächste Lied trägt mit Alba den Namen mittelalterlicher Tagelieder, die in den romanischen Sprachen nach der „Weiße“ des Morgengrauens (okzitanisch „Alba“) benannt wurden, in der sich die Liebenden trennen müssen. Die Melodie ist sehr ruhig bis mystisch; einen besonderen Akzent setzt das Cello des Gastmusikers Adam Hurst im Refrain „Lauf nicht davon, ich kann den Morgen sehen. Wir liefen weit, nun lassen wir den Winter ziehen.“ Das Lied ist melancholisch, doch im Gegensatz zu den „obligatorischen“ Trennungen der Tagelieder bleiben hier die Liebenden beisammen – trotz der „viel zu großen Welt“, in der sie leben.

Ynis Avalach ist nach der keltischen Anderswelt Avalon benannt, der „Insel der Äpfel“. Ähnlich wie die Äpfel der Iduna sind diese Früchte auch hier ein Symbol für Unsterblichkeit. Die Melodie des Instrumentalstücks ist eine Bearbeitung eines bretonischen Liedes; es ist flott und mitreißend und gefällt mir wegen seiner sommerlich-fröhlichen Stimmung sehr gut. Gegen Ende hin setzen die Instrumente aus, bis zuletzt nur noch die Flöte spielt und langsam verhallt.

Arcadia, das darauffolgende Lied, kombiniert wieder zwei unterschiedliche Texte: das finnische Volkslied „Metsän kuninkaalle“ und einen Auszug aus Oscar Wildes Gedicht „Pan“. Beide Texte haben gemeinsam, dass in ihnen der Herrscher der Wälder um Beistand angerufen wird: im finnischen Lied für eine erfolgreiche Jagd, in Wildes Gedicht durch den Glauben an die Beseeltheit der Natur (Animismus) angesichts einer scheinbar naturfernen modernen Welt. Der Liedtitel geht auf Arkadien zurück, eine Region im antiken Griechenland, deren Bewohner größtenteils als Hirtenvolk lebten und die zu einer Idylle verklärt wurde, in der die Menschen im Einklang mit der Natur lebten. Das Lied ist mitreißend und gefällt mir auch deshalb sehr gut, da ich sowieso eine Schwäche für die finnische Sprache habe.

The Market Song kombiniert eigene Texte Fauns mit dem englischen Volkslied „Copshawholme Fair“ über den Markt in Copshawholme (Cumberland / Nordengland). Es klingt in der Instrumentierung von Faun verträumter und ist filigraner instrumentiert als „unbearbeitete“ englische Volkslieder. Faun möchten das Lied den Veranstaltern und Helfern widmen, die ihre Auftritte bei den diversen Konzerten und Festivals möglich gemacht haben.

Einen würdigen Abschluss findet das Album schließlich in Golden Apples, das mit Vogelgezwitscher beginnt und dann in ein ruhig-verträumtes nordenglisches Wiegenlied übergeht. Schließlich spricht Mark Lewis einige Verse des persischen Mystikers Rumi, die ausdrücken, dass wir das Paradies nicht in der Ferne, sondern in uns selbst suchen sollten.

Faun - von links nach rechts: Rüdiger Maul, Fiona Rüggeberg, Oliver Pade (s. Tyr), Margareta (Rairda) Eibl, Niel Mitra

„Eden“ ist für mich das bisher beste Album von Faun – es schlägt sogar meinen langjährigen Favoriten „Licht“ (2003) mit meinem altisländischen Lieblingslied „Egil Saga“. Selten waren die faunischen Lieder so mystisch-verträumt, so filigran instrumentiert und dabei gleichzeitig so mitreißend wie auf dieser CD. Darüber hinaus wird mit den Liedtexten und vielen Hintergrundinformationen in dem 70 Seiten starken, kunstvoll gestalteten Booklet wieder eine Menge Fanservice geboten. Ein kleiner Wermutstropfen ist, dass im Gegensatz zum „Buch der Balladen“ diesmal keine Noten enthalten sind. Auch die Papphülle, in der sich die CD befindet, ist wegen der Gefahr des Zerkratzens, die von ihr ausgeht, nicht ganz ideal. Angesichts der wunderschönen, sommerlichen Musik und des schönen Booklets verblassen aber auch diese beiden kleinen Kritikpunkte.

Endlich einmal wieder ein Album, in das ich mich auf Anhieb verliebt habe!

5 Responses to Faun – Eden

  1. Sam sagt:

    Dass es keine Noten dabeigibt find ich aber wirklich etwas schade!
    Das Lied „Ynis Avalach“ find ich einfach wunderschön, habe aber Probleme dabei, es einfach durchs Hören auf meiner Blockflöte und meinem Dudelsack nachzuspielen =/
    Sonst kann ich nur zustimmen 🙂

  2. Marron sagt:

    Zwar habe ich das Album nicht, aber „Re | Vealed“. Darauf befinden sich einige Remixe von Album-Liedern. Und es klingt echt gut. :]

    • Jary sagt:

      Es freut mich, dass dir “Eden Re|Vealed” gefällt! 🙂
      Normalerweise bin ich kein Fan von Remixen, aber die auf “Re|Vealed” finde ich auch richtig gut. :]

  3. […] Fieke. Ihr Designstudio Orchus hatte auch schon für das wunderschöne Artwork zur Faun-CD “Eden” verantwortlich […]

  4. […] ist das jüngste Album der Münchner Pagan Folker Faun erschienen, von deren vorhergehenden Werk Eden ich ja ziemlich begeistert war. Vorneweg: Ich finde Von den Elben überwiegend schön anzuhören, […]

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