Nachdem ich in meinem Eintrag vom 27. Juli 2013 auf den Paperblanks-Kalender eingegangen bin, das Geburtstagsgeschenk für meinen Vater, möchte ich nun auf das Namenstagsgeschenk für meine Oma zu sprechen kommen: einen immerwährenden 365-Tageskalender mit je einem Bild und einem Spruch pro Tag von Weltbild, 365 Weisheiten der Welt. Ich habe diesen Kalender ausgewählt, weil meine Oma schöne Bilder mit Sprüchen dazu sehr gerne mag. Tatsächlich hat sie sich sehr darüber gefreut. 🙂
Was mich betrifft, ist es zwar nicht so, dass ich Zitate und schöne Bilder grundsätzlich nicht mag, aber mir sind politische Statements deutlich lieber – oder solche Zitate, die (obwohl vom Verfasser natürlich nicht beabsichtigt) manchmal geradezu erschreckend prophetisch wirken:
Und eh‘ ihr einen Schläger
Erhebt zum Völkermord,
Sucht unsern Bannerträger,
Das freie Wort!— 2. Strophe des Gedichts „Das freie Wort“ von Georg Herwegh (1817-1875) aus der Sammlung „Gedichte eines Lebendigen“, Teil 1 (1841)
Sprüche wie „Das Glück ist das Einzige, das sich verdoppelt, wenn man es teilt“ sind dagegen weniger mein Fall – solche „Weisheiten“ finde ich platt und banal. Meine Oma nicht. Das ist ihr gutes Recht, aber es ist auch mein gutes Recht, diese Sprüche nicht zu mögen.
(Laut Wikipedia ist das Sprichwort mit dem doppelten Glück übrigens aus China; andere Internetstimmen schreiben es Albert Schweitzer zu. Vielleicht hat es ja auch einfach irgendein Sprüchekompilator mal selbst erfunden.)
Was ich unter einem „schönen Bild“ verstehe, ist vermutlich auch nicht ganz dasselbe wie das, was meine Oma dazu zählen würde: Blumen gehören nämlich nicht dazu, Wald und v.a. Wasser dagegen schon – Hauptsache, viel Dunkelgrün und Blau oder Gelb. Aber was rede ich – ihr seht ja das Design meines Blogs. Deshalb ist der „Weisheiten der Welt“-Kalender genau das Richtige für meine Oma – nicht für mich. Aber das Geschenk soll ja dem Beschenkten gefallen und Freude bereiten – nicht dem Schenkenden. Ergo: Ziel erfüllt! 🙂
Kunst und v.a. Architektur gehören für mich auf jeden Fall und ganz besonders zu den „schönen Bildern“, z.B. der romanische Kreuzgang eines Klosters oder gotische Kathedralen. Deshalb besitze ich selbst den immerwährenden Tageskalender Eine Reise ins Mittelalter. 365 magische Momente von Pattloch (Verlagsgruppe Droemer Knaur), an dem mich aber mitunter extrem stört, dass nirgends angegeben ist, was denn nun genau auf diesem oder jenem Bild zu sehen ist. Gut, ich erkenne schon ein paar Abbildungen, z.B. am 1. Juli die Tapisserie mit der „Jungfrau mit dem Einhorn“ als Symbol für Eitelkeit aus dem Pariser Musée de Cluny. Aber alles kenne ich eben auch nicht. Sogar das Wenigste.
Etwas besser ist es bei den Zitaten. Bei den Textzeilen „Das muss ein Armseliger sein, der nicht lebt und nicht liebt unter des Sommers Herrschaft“, ebenfalls für den 1. Juli, ist immerhin angegeben, dass sie „aus den Carmina Burana“ seien. Dass sie präzise gesagt aus „Ecce gratum“ (Nr. 143) stammen und im lateinischen Original „illi mens est misera/ qui nec vivit/ nec lascivit/ sub Estatis dextera“ heißen, könnte man sich aber auch dann leicht ergoogeln, wenn man weder von der Benediktbeurer Liederhandschrift noch von Carl Orffs szenischer Kantate je zuvor gehört hätte. Bei den Sprüchen ist es also schon in Ordnung, aber bei den Abbildungen ist es wirklich schade. Der Bildnachweis nennt leider nur die Rechteinhaber. Vermutlich stört es 95% der Käufer dieses Kalenders auch überhaupt nicht, dass genauere Quellenangaben bei den Bildern fehlen, aber ich empfinde es an dem sonst schönen Kalender als Manko. In mir schlägt halt ein Historiker-Herz.
Zur Ehrenrettung des Kalenders muss man auch sagen, dass er trotz des romantisch-mittelalterverklärenden Titels wirklich geschmackvoll ist. Und der Geschichtsdidaktiker in mir, der „zu ästhetisierend“ sagt, darf jetzt einfach mal ruhig sein… Außerdem: Selbst wenn ich hier kritisiere, dass der Kalender keine didaktischen Standards einhält – ich hab ihn mir gekauft, er steht auf meinem Schreibtisch, ich blättere ihn jeden Tag um, er gefällt mir. Punkt.