Gaucks erste Rede als Bundespräsident

23. März 2012

Von http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,823277,00.html:

Freiheit ist eine notwendige Bedingung von Gerechtigkeit. […] Umgekehrt ist das Bemühen um Gerechtigkeit unerlässlich für die Bewahrung der Freiheit.

Wie schön, das aus seinem Mund zu hören!
Und liberal ist… Gauck!

Und speziell zu den rechtsextremen Verächtern unserer Demokratie sagen wir in aller Deutlichkeit: Euer Hass ist unser Ansporn. Wir lassen unser Land nicht im Stich. Wir schenken euch auch nicht unsere Angst. Ihr werdet Vergangenheit sein und unsere Demokratie wird leben.
Die Extremisten anderer politischen Richtungen werden unserer Entschlossenheit in gleicher Weise begegnen. Und auch denjenigen, die unter dem Deckmantel der Religion Fanatismus und Terror ins Land tragen, und die hinter die europäische Aufklärung zurückfallen, werden wir Einhalt gebieten. Ihnen sagen wir: Die Völker ziehen in die Richtung der Freiheit. Ihr werdet ihren Zug vielleicht behindern, aber endgültig aufhalten könnt ihr ihn nicht.

Herr Bundespräsident, Sie sprechen mir aus der Seele!
Nur in einem schöneren, elegant schlichten Stil, der klar und deutlich sagt, was Sie meinen.
So möchte ich auch schreiben – und reden – können.
Ich werde mir Ihren Stil zum Vorbild für meine Seminararbeiten nehmen. (Zumindest für die deutschen. Bei meinen englischsprachig verfassten Essays habe ich zweimal den Kommentar bekommen, sie seien „elegantly written and presentend“. Nur auf Deutsch neige ich leider zum Verschwurbelt-Schreiben mit besonders komplexen Satzkonstruktionen.)

Ach… war da nicht mal was mit „ein Bundespräsident soll Vorbild sein“?
Ist er schon. Nach dieser Rede auf jeden Fall.


„Der Name der Rose“: Klösterliche Überlieferungen

27. Dezember 2010

Ich hoffe, ihr konntet alle ein schönes, ruhiges Weihnachtsfest verleben! Zu den letzten Tagen des Jahres gibt es von mir ein paar Gedanken über Vergängliches – nämlich über alte Manuskripte.

Für ein Seminar lese ich gerade „Der Name der Rose“ von Umberto Eco. In einer Passage (3. Tag, Terz) denkt Adso, der Erzähler, darüber nach, wie städtische Schulen und Universitäten die Klöster dadurch verändern, dass diese im 14. Jahrhundert längst nicht mehr die alleinigen Träger des Wissens sind. Er überlegt sich, dass die unverfälschte Bewahrung des (antiken) Wissens eigentlich nur dann erfolgen könnte, wenn es niemanden erreicht – wenn die Mönche Bücher nur kopieren, aber nicht verstehen würden. Außerdem zeigt er sich besorgt über den Verfall alter Manuskripte dadurch, dass man sie öffnet, berührt, liest: „sie aufzuschlagen hieß also, sie zu biegen, sie der zerstörerischen Einwirkung von Luft und Staub auszusetzen, die das feine Geäder, mit dem sich das Pergament im Laufe der Zeit überzogen hatte, aufplatzen lassen […] würde“ (engl. Ausgabe: „opening them meant folding them, exposing them to the harsh action of air and dust, which would erode the subtle winkles of the parchment“) …

Einer meiner Dozenten erzählte von Archiven, die jahrhundertealte, wertvolle und zerbrechliche Urkunden selbst der Forschung nicht mehr zugänglich machen, aus Angst, dadurch ihren Verfall zu beschleunigen. Seine Meinung dazu war eindeutig: „Dann könnte man sie auch gleich wegwerfen.“
Ich finde, er sagte da etwas sehr Wahres: Wenn vorhandenes Wissen nicht genutzt und niemandem zugänglich gemacht wird, ist es so, als würde dieses Wissen überhaupt nicht existieren. Als wäre die antike, mittelalterliche oder frühneuzeitliche Handschrift, Urkunde, Akte, etc. gar nie geschrieben oder uns nie überliefert worden.
Gut, sie mag ediert worden sein, es mag auch eine Übersetzung geben. Und dennoch – manche Dinge sieht man als Historiker bzw. Philologe nur an einem Original: das Papier, der Strich der Handschrift, Details des Siegels (sofern vorhanden), Unebenheiten im Text…

Das Wohl eines Buches besteht darin, gelesen zu werden. Bücher sind aus Zeichen gemacht, die von anderen Zeichen reden, die ihrerseits von den wirklichen Dingen reden. Ohne ein Auge, das sie liest, enthalten sie nur sterile Zeichen, die keine Begriffe hervorbringen, und bleiben stumm.
(The good of a book lies in its being read. A book is made up of signs that speak of other signs, which in their turn speak of things. Without an eye to read them, a book contains signs that produce no concepts; therefore it is dumb.)
William von Baskerville in „Der Name der Rose“, 5. Tag, Versper, gegen Ende der Passage

Sicher, es gibt auch die Position, erworbenes Wissen, das gefährlich werden könnte, schnellstmöglich zu vernichten oder den Zugang dazu stark einzuschränken. Ein Beispiel: die Erfindung der Atombombe. Doch ich denke, Friedrich Dürrenmatt hat nicht ganz unrecht, wenn er in seinem Theaterstück „Die Physiker“ (über die Verantwortung des Wissenschaftlers gegenüber seinen Erkenntnissen) die pessimistische Sichtweise äußert: „Was einmal gedacht wurde, kann nicht mehr zurückgenommen werden.“


Frankenstein: Hybris und Ehrgeiz

5. Dezember 2010

Letzte Woche habe ich eine Vorlesung besucht, in der es u.a. um „Frankenstein“ ging, einen Roman, den ich sehr mag und zu dem ich demnächst mal eine Rezension schreiben sollte.

Mein Professor lehnt es ab, die Erschaffung des „Monsters“ durch Frankenstein als Hybris zu deuten, da Frankenstein eine durchaus ambivalente Figur ist, die durchaus ihre guten bzw. faszinierenden Seiten hat. Eine Erklärung mit Ehrgeiz, der sich über das dem Menschen (gegenüber den Göttern) zustehende Maß erhebt, würde – wenn ich meinen Professor richtig verstanden habe – für ihn eine Verdammung Frankensteins als Mensch bedeuten.

Ich deute Frankensteins Erschaffung des „Monsters“ als Hybris (was besagter Professor übrigens auch weiß), betrachte diese jedoch eben nicht als einen Grund, der eine Verdammung Frankensteins rechtfertigen würde. Im Gegenteil halte ich einen solch starken Ehrgeiz für eine zutiefst menschliche Eigenschaft, die allein deshalb schon nicht in eine bloße Verurteilung derjenigen münden kann, bei denen diese Eigenschaft auftritt.

Die Ursache der Hybris sehe ich in der (ebenfalls zutiefst menschlichen) Sehnsucht nach Ewigkeit: Der Mensch kann oder will zunächst einmal nicht akzeptieren, dass nichts auf dieser Welt „für immer“ ist, dass all sein Streben irgendwann im Vergessen verschwinden wird – spätestens dann, wenn es keine Menschen mehr gibt, sehr wahrscheinlich aber schon viel früher. Der Mensch sehnt sich danach, irgendeine „Spur“ seines Lebens für die Nachwelt zurückzulassen, sei es durch soziale bzw. karitative Tätigkeit, durch das Hinterlassen eines Erbes, durch Nachkommen, durch besondere wissenschaftliche oder politische Leistungen usw.

Manche Menschen haben die Sinnlosigkeit eines solchen Strebens nach Ewigkeit erkannt. Sie richten ihre Bemühungen entweder darauf, „den Augenblick zu leben“ – darauf, die Tätigkeit, die sie im Moment ausüben, möglichst bewusst und gut auszuüben – und streben nicht mehr nach Höherem. Oder sie richten nach der Erkenntnis, dass nichts „ewig“ ist, ihr Streben auf eine spirituelle Instanz – etwa den christlichen Gott – und hoffen, die Ewigkeit, die sie in diesem Leben niemals erreichen können, in einem anderen, jenseitigen Leben zu erlangen.
Die letztere Möglichkeit erscheint mir als wenig geeignete Kompensation für das Streben nach Höherem in diesem Leben (obwohl ich ja an Gott glaube – aber so möchte ich den Glauben nicht verstanden wissen, das ist für mich eher Realitätsflucht). Die erstere dagegen ist weise.

Die beiden Möglichkeiten, die ich soeben angedeutet habe, treffen allerdings weder auf meinen Professor noch auf mich zu – sonst wäre er nicht Professor, und ich würde nicht studieren, sondern vermutlich in einem Heizungsinstallationsbetrieb ein Rohr zurechtschweißen. (Etwas, das mir manchmal durchaus noch erstrebenswert erscheint – vor allem dann, wenn ich gerade besonders viel geistig anstrengende Arbeit leisten muss. Körperliche Arbeit, bei der man sich konzentrieren muss, laugt geistig nicht aus.)

Sind mein Professor oder ich also „böse“, weil wir ehrgeizig sind? – Nein, natürlich nicht. Der Gedanke wäre absurd. Wieso sollte also jemand „böse“ sein, wenn wir ihn dem Vorwurf der Hybris aussetzen? Hybris ist die reinste, am stärksten übersteigerte Form des Ehrgeizes. Aber zwischen ihr und dem „gewöhnlichen“ Ehrgeiz besteht nur ein gradueller Unterschied, kein Wesensunterschied. Beide sind Ausdruck einer Ewigkeitssehnsucht, die dem Menschen in diesem Leben versagt bleiben muss. Der Ehrgeiz als Ausdruck dieser Sehnsucht ist an sich weder gut noch böse, ebenso wie der Mensch an sich weder gut noch böse ist. Deshalb ist auch „Hybris“ ein Begriff, der für mich keine bloße moralische Verdammung bezeichnet. Vor diesem Hintergrund bezeichne ich Frankensteins wissenschaftliches Streben, das in der Erschaffung des „Monsters“ endet, als „Hybris“.


La raison, die Frucht der Erkenntnis?

26. September 2010

Manchmal frage ich mich, ob die Frucht – ein Apfel war es ja wahrscheinlich nicht -, die Eva da vom Baum der Erkenntnis gepflückt hat, nicht genau das war, was Richelieu unter raison versteht (siehe vorangegangener Post)… Zum einen heißt es „Baum der Erkenntnis“, zum anderen gibt es da diese frappierende klangliche Ähnlichkeit zwischen la raison und dem französischen Wort für die „Frucht“, la raisin (auch wenn das mit dem althebräischen Original mit Sicherheit nul zu tun hat). Deshalb frage ich mich, ob Gott nicht vielleicht deshalb so wütend wurde, weil dem Menschen mit der Raison gleichzeitig die Macht gegeben war, Gottes Existenz in Frage zu stellen…

Auf den ersten Blick scheint das meiner sonstigen Auffassung zu widersprechen, wonach Gott den Menschen die Freiheit gegeben hat, sich in ihrem Leben dafür zu entscheiden, Gutes oder Böses zu tun.
Ich bin nämlich fest davon überzeugt, dass der Mensch an sich weder „gut“ noch „böse“ ist, sondern durch Anlagen und Umstände (seine „Um-Welt“) eher in die eine oder in die andere Richtung gerät. Da ihm ja – wie Richelieu meint – von Gott die Raison gegeben ward, hat er die Fähigkeit, sich innerhalb eines von seiner Umwelt gesetzten Rahmens frei für das eine oder das andere zu entscheiden.

Ja, ich bin mir bewusst, dass ich damit die Vorstellung von einer „Erbsünde“ verwerfe. Das bedeutet automatisch auch, dass ich die ganze Geschichte vom „Sündenfall“ nicht so ganz ernst nehme und eher als Erfindung betrachte – einen Erklärungsversuch dafür, wie die Sünde in die Welt kam.
Und wo wir gerade dabei sind: Ich glaube auch nicht an den „Teufel“. Menschen können schon teuflisch genug sein, da braucht man nicht auch noch übernatürliche Wesen. Der größte Kampf im Leben ist für mich ohnehin der gegen sich selbst – der darum, Gutes zu tun und Schlechtes zu unterlassen. Deshalb haben meine Überlegungen in diesem Post auch eher philosophisch-hypothetischen Charakter.

So, ich denke, das waren meine wesentlichen „undogmatischen“ Gedanken. Der Schluss ist wieder etwas versöhnlicher und versucht, die Geschichte vom „Sündenfall“ wieder ein Stück weit für mich zu retten:

Vielleicht hatte Gott in seiner Voraussicht ja bedacht, dass Eva den Apfel nehmen würde, und wollte vor allem wissen, ob der Mensch tatsächlich bereit ist, die Bürde der Freiheit – die „Vertreibung aus dem Paradies“ – auf sich zu nehmen. Ob der Mensch bereit ist, den steinigen Weg zu wählen statt der Bequemlichkeit des Paradieses, in dem dem Menschen kein Schaden zugefügt werden kann, in dem er aber auch nicht selbstständig denken muss… Und als Eva den Apfel nahm, bestätigte sie die Antwort, die Gott ohnehin erwartet hatte…


Richelieu und die Raison

25. September 2010

In der vergangenen Zeit habe ich mich ein wenig mit dem raison-Begriff bei Kardinal Richelieu beschäftigt.

Wilhelm Mommsen, einer der bedeutendsten deutschen Historiker des 20. Jahrhunderts, weist in seinem Aufsatz „Richelieu als Staatsmann“ darauf hin, dass die Begriffe raison und raisonnable, die bei Richelieu häufig auftreten, sich im Deutschen am ehesten entweder mit „Verstand“ oder „Vernunft übersetzen lassen (vgl. HZ 127 (1923), S. 211 f.). Die Begründung, die Richelieu dafür gibt, dass man sich in der Staatsführung in erster Linie durch die Raison leiten lassen soll, ist in mehrfacher Hinsicht interessant und verdient es, einmal etwas ausführlicher zitiert zu werden:

La lumière naturelle fait connoistre à un chacun que, l’homme ayant esté fait raisonnable, il ne doit rien faire que par raison, puisqu’autrement il feroit contre sa nature, et, par conséquent, con-tre celuy mesme qui en est l’autheur.
Elle enseignent encore que, plus un homme est grand et eslevé, plus il doit faire estat de ce privilège et que moins il doit abuser du raisonnement qui constitute son estre, parce que l’avantage qu’il a sur les autres hommes contai[gne]nt à conserver ce qui est de la nature et ce qui est de la fin que celuy dont il tire son élévation s’est proposé.
De ces deux principles il s’ensuit clairement que l’homme doit souverainement faire régner la raison, ce qui ne requiert pas seulement qu’il ne fasse rien sans elle, mais l’oblige, de plus, à faire que tous ceux qui sont sous son authorité la révèrent et la suivent religieusement.
Cette conséquence est la source d’une autre qui nous enseigne qu’ainsy qu’il ne faut rien vouloir qui ne soit raisonnable et juste, il ne faut rien vouloir de tel que l’on ne fasse exécuter et où les commandemns ne soient suivis d’obéissance, parce qu’autrement la raison ne règneroit pas souverainement.

(Françoise Hildesheimer (Hrsg.), Testament politique de Richelieu (Société de l’histoire de France), Paris 1995, S. 245.)

Für alle, die entweder kein Französisch gelernt haben oder mit dem Schwierigkeitsgrad des Textes nicht zurechtkommen, folgt ein Auszug aus einer deutschen Übersetzung, die allerdings nicht zu 100% wörtlich ist:

Die natürliche Einsicht läßt jeden erkennen, daß, da der Mensch „raisonnable“ geschaffen ist, er alles nur aus der Räson heraus tun darf, denn sonst würde er gegen seine Natur handeln und folglich gegen die Grundlage seines eigenen Wesens [wörtlich: gegen denjenigen selbst, der deren (d.h. der Natur) Schöpfer ist, Anm. Jary]. Sie lehrt weiter, daß, je größer und bedeutender ein Mensch ist, um so mehr muß er auf dieses Vorrecht halten, und um so weniger darf er das „raisonnement“ mißbrauchen, das sein Wesen ausmacht, weil die Vorteile, die er vor andern voraus hat, ihn zwingen, das zu behaupten, was seiner Natur und dem Zweck dessen entspricht, dem er seine Erhöhung verdankt.
Aus diesen beiden Prinzipien geht klar hervor, daß, wenn der Mensch in hervorragender Weise „raisonnable“ ist, so muß er in hervorragender Weise auch die Räson regieren lassen. Das aber erfordert nicht nur, daß er nichts ohne sie tut, sondern es verpflichtet ihn noch zu mehr, nämlich, daß alle, die unter seiner Herrschaft stehen, sie verehren und ihr gläubig folgen. Diese Folgerung ist die Quelle einer anderen, die uns lehrt, daß, wie man nichts wollen soll, was nicht „raisonnable“ und gerecht ist, so darf man auch das nicht wollen, was sich nicht ausführen läßt, und wobei man, wenn man es befiehlt, nicht auf eine gehorsame Befolgung der Gebote rechnen kann, weil sonst die Räson nicht unumschränkt herrschen würde.

(Wilhelm Mommsen (Hrsg.), Richelieu, Politisches Testament und Kleinere Schriften. Übersetzung von Frieda Schmidt (Klassiker der Politik 14), Berlin 1926, S. 167.)

Die meisten neueren Historiker sind sich mittlerweile einig, dass Richelieus Glaube tief in seiner Persönlichkeit verwurzelt war und beileibe nicht die geringe Rolle gespielt hat, die ihm z.B. noch Wilhelm Mommsen zugesprochen hat. Für Richelieu fußt der Staat auf Gott, und die Raison ist ein Geschenk Gottes an die Menschen. Da der Mensch also als vernunftbegabtes Wesen geschaffen wurde, muss er auch seiner Natur, d.h. der Raison, folgen. Der Raison zu folgen bedeutet gleichzeitig, gerecht zu handeln und Gottes Willen zu entsprechen. Deshalb räumt Richelieu der Raison einen so hohen Stellenwert ein, dass er fordert, Untergebene müssten dazu gebracht werden, ihr „gläubig“ zu folgen.

Richelieu war ein überaus rational denkender Mensch, der vor jeder Entscheidung das Für und Wider abgewogen hat, aber – zumindest nach Einschätzung vieler neuerer Historiker – gleichzeitig gläubiger Katholik, wenn auch kein dogmatischer. In dieser Hinsicht ist er mir, einer ebenfalls rational denkenden Katholikin, sehr sympathisch.
In anderen Hinsichten sieht die Sache wieder ganz anders aus, deshalb beschränke ich mich hier bewusst auf seinen Rationalismus. Außerdem hielt er Frauen generell – bedingt durch eigene Erfahrungen mit gewissen Regentinnen – für ziemlich irrational und impulsiv. Frauen, die sich zum Regierungsgeschäft eignen, wie Elisabeth I. von England, galten ihm als Ausnahme. Anstatt zu denken, dass es bei Frauen wie bei Männern solche gibt, die sich als Regentinnen eignen, und solche, die es nicht tun… Aber gut.

(Dieser Eintrag dient dazu, den morgigen vorzubereiten.)


Interessanter Artikel über Anonymität im Internet

21. Mai 2009

Heute habe ich mal wieder im Internet nach interessanten Themen gesucht und dabei einen Artikel von Bettina Winsemann bei heise.de gefunden, der zwar vom 8. September 2005, aber immer noch sehr aktuell ist. In „Zeigt her Eure Namen“ geht es um gute Gründe, seine Meinungen im Internet unter Pseudonym zu schreiben, unabhängig davon, dass man bereit ist zu dieser Meinung zu stehen.

Ein kurzes Zitat aus dem Artikel:

Geht es um Anonymität und Datensparsamkeit, gibt es in Diskussionen oft genug das Argument: „Wer zu seiner Meinung/seinen Taten steht, versteckt sich nicht“. Eine kurzsichtige Meinung, die nicht berücksichtigt, dass (freiwillige) öffentliche Preisgabe von Daten eine hohe Toleranz innerhalb der Gesellschaft voraussetzt.

Besonders der Abschnitt unter der Zwischenüberschrift „Einfach mal (den Falschen) denunzieren“ ist interessant.

Der Inhalt dieses Zitats wiederum dürfte jedem einigermaßen tolerant und liberal denkenden Menschen allgemein bekannt sein – wahrscheinlich sogar aus eigener (negativer) Erfahrung in Diskussionen:

Gerade, wenn es um heikle Themen wie Kinderpornographie, Terrorismus, Todesstrafe etc. geht, sind viele Menschen innerhalb der Gesellschaft nicht bereit, sich argumentativ mit anderen auseinanderzusetzen, sondern greifen auch schon einmal zu kriminellen Methoden [dieser Halbsatz bezieht sich auf den Abschnitt unter der erwähnten Zwischenüberschrift], um „ihre Wahrheit“ zu verteidigen.

Unter diesem Link könnt ihr den Artikel selbst nachlesen:
http://www.heise.de/tp/r4/artikel/20/20885/1.html

Die Schwierigkeit bei der „Anonymität“ im Internet ist natürlich, dass sie sich nicht absolut herstellen lässt. Wie bereits erwähnt gilt das natürlich auch für meine eigene. Und höchstwahrscheinlich gefallen meine eher liberalen Ansichten zu „Tabuthemen“ auch einer Menge Leuten nicht…


Quergelesen: Der Walfisch "Gewalt gegen Frauen"?

22. April 2009

Heute habe ich auf der Homepage der renommierten Wochenzeitung „Die Zeit“ einen interessanten Artikel der bekannten Feministin Alice Schwarzer gelesen. Nun bin ich nicht gerade ihr Fan, auch wenn ich ihre Arbeit respektiere, und der Artikel ist in seiner Aussage bewusst provokant gehalten. In ihrer zentralen Aussage muss ich ihr aber zustimmen: Vor Gewalt gegen Frauen verschließt unsere Gesellschaft meist die Augen – und das gilt für beide Geschlechter.

Nun, wovon handelt der Kommentar genau? Er handelt vom Amoklauf in Winnenden und der Tatsache, dass die überwiegende Zahl der Opfer weiblich war – eine Tatsache, die laut der Pressesprecherin der Stuttgarter Staatsanwaltschaft „nach [deren] bisherigen Erkenntnissen keine Rolle gespielt“ hat.

Was ich an dem Artikel nicht gut finde ist, dass mal wieder viel zu verallgemeinernd auf die Ursachen von Amokläufen eingegangen wird und Schwarzer ihre Aussagen bewusst überspitzt darstellt – ein Beispiel: „Jungen, die aus normalen Familien kommen und keinen Stich bei Mädchen haben, die Pornos konsumieren und Gewaltspiele,“ „sind gefährdet“ gewalttätig gegen Frauen zu werden. Ihre Opfer würden zwar „selten in der Leichenhalle, aber oft genug in Frauenhäusern landen“.
Ich muss ganz offen sagen, dass ich es für völlig unangebracht halte, solche heiklen Themen zuzuspitzen. Und ich glaube kaum, dass der Amokläufer von Winnenden die jungen Frauen nur erschossen hat, weil er sich vom weiblichen Geschlecht zurückgewiesen fühlte – da denkt Frau Schwarzer meines Erachtens viel zu einfach.

Ich muss aber auch ehrlich sagen, dass ich denselben Eindruck habe wie sie, was das Wegsehen vor Gewalt gegen Frauen betrifft. Und den Gründen, die sie dafür nennt, stimme ich in den Teilen, in denen ich sie hier zitieren möchte, ebenfalls zu:

[D]ie Zeiten, in denen nur Männer den exklusiven Zugang zum Wissen und zur Welt hatten, sind vorbei. Heutzutage überholen die Mädchen die Jungen in der Schule, und auch Frauen fahren Auto und umsegeln die Weltmeere.

Wie ich durch eine Vorlesung in Allgemeiner Pädagogik weiß, haben einige Jungen Studien zufolge in der Tat Probleme ihre Rolle als Mann in Zeiten der rechtlichen Gleichstellung der Frau zu definieren.

Bleibt die Frage, warum so viele Menschen so entschlossen wegsehen, Männer wie Frauen. Das hat wohl etwas mit Erschrecken zu tun und mit Verdrängung. Männer erschrecken vor sich selbst beziehungsweise der Spezies, zu der sie gehören; Frauen erschrecken vor der (potenziellen) Gewalt von Männern.

Ich glaube, dass Alice Schwarzers Vermutung diesbezüglich zutrifft.
Außerdem heißt es in dem Artikel:

Die Norm ist, dass Männer Frauen ermorden (in 90 Prozent aller Mordfälle zwischen den Geschlechtern). Weibliche Amokläufer sind (bisher) quasi inexistent. Nicht etwa, weil Frauen die besseren Menschen wären. Nein, weil Frustration und Aggression sich bei Frauen traditionell anders Bahn brechen als bei Männern, nämlich weniger nach außen und mehr nach innen, weniger physisch und eher psychisch.

Inwiefern diese „traditionelle“ Reaktion nun kulturelle Ursachen in der Erziehung hat oder ob es dafür auch biologische Ursachen gibt, möchte ich mal dahingestellt sein lassen. Aus besagter Vorlesung in Allgemeiner Pädagogik ist mir bekannt, dass die Geschlechterforschung in der Soziologie vor allem Kultur und Erziehung betont.

Aber lest Alice Schwarzers Artikel und bildet euch eine eigene Meinung: http://www.zeit.de/2009/17/oped-Schwarzer?page=1


Biologie: Wann Menschen (und Tiere) Außenseiter ausstoßen

15. April 2009

Im gestrigen Eintrag „Wichtigen Beitrag zur Diskussion um Amokläufe im Internet entdeckt“ ist bereits angeklungen, dass im Grunde nichtige Dinge ausreichen, um aus einem Menschen einen gemobbten Außenseiter zu machen. Heute möchte ich kurz erklären, was die Biologie dazu sagt, und dann ein paar Schlussfolgerungen daraus ziehen.

Biologische Sicht

Im Biologieunterricht fällt dieses Thema unter „Soziales Verhalten bei Tier und Mensch“, genauer gesagt in den Bereich des Aggressionsverhaltens (agonistischen Verhaltens). Unter Aggressionsverhalten versteht man per Definition „Formen des Angriffs oder der Verteidigung, die der Unterwerfung, Vertreibung oder Tötung des Gegners dienen“. Man unterscheidet dabei zwischen innerartlicher Aggression (also z.B. innerhalb eines Wolfsrudels – die Fanthasianer lassen grüßen) und zwischenartlicher Aggression (z.B. zwischen dem Beutetier Reh und dem Raubfeind Fuchs).

Dass Mobbing eine Form der innerartlichen Aggression (zwischen Menschen) ist, dürfte einleuchten. Meist handelt es sich um „Aggression gegen den Gruppenaußenseiter“. Artgenossen, die nicht dem ’normalen‘ Artbild entsprechen, werden dabei angegriffen und manchmal sogar getötet (!).
Und dafür reichen wirklich Kleinigkeiten aus: In einem Versuch, den man mir im Biologieunterricht filmisch gezeigt hat, wurden einem Hahn Farbtupfen auf den Kamm gemalt. Prompt wurde er von den anderen Hühnern attackiert!

Das Problem daran ist auch, dass aggressives Verhalten erlernt werden kann. Außerdem verstärkt es sich, wenn der Aggressive damit dauernd erfolgreich ist.

Schlussfolgerungen aus soziologischer Sicht

Und jetzt denkt bitte darüber nach, wie unsere Gesellschaft mit Minderheiten umgeht.

Das müssen ja gar nicht solche offensichtlichen Fälle wie Intersexualität, Homosexualität oder Inzest sein, die ich in meinem Beitrag „Mein gesellschaftspolitisches Interesse an ‚Tabuthemen'“ angesprochen habe – obwohl sie natürlich am eindeutigsten sind.
Weitere Beispiele, die recht schnell einleuchten, wären Menschen anderer Hautfarbe oder behinderte Menschen. Das ist ja manchmal noch nicht einmal böse Absicht. Aber unsere Gesellschaft weiß oft gar nicht, wie sie mit diesen Menschen umgehen soll – was meist damit endet, dass man sie entweder anstarrt (vor allem Kinder machen das) oder ignoriert (vor allem Erwachsene).

Aber lest noch einmal, was der Grund war, aus dem der Mann gequält wurde, der fast Amok gelaufen ist:
Er war am Unterricht interessiert, gut in der Schule und geistig etwas weiter als seine Klassenkameraden. Er war „ein sehr ruhiges Kind – relativ unauffällig, friedlich und freundlich“. Er war „nicht besonders sportlich und körperlich schwächer“ als der Durchschnitt seiner Altersgenossen.
Ist das ein Grund für Ausgrenzung? Ja, ist es offenbar.
Wer nie Ähnliches erlebt oder zumindest mitbekommen hat, kann das vielleicht nicht verstehen. Aber das reicht wirklich schon, um ausgegenzt zu werden.

Das führt einen unweigerlich zu der Frage: Ist die Ausstoßungsreaktion zwangsläufig? Kann man das nicht überwinden? Natürlich kann man das. Mag sein, dass Tiere es nicht können – aber genau das sollte uns als Menschen ausmachen.
Dass wir andere nicht verurteilen, weil sie aus unserer Sicht „irgendwie anders“ sind. Dass wir sie nicht aus unserer Gemeinschaft ausschließen. Dass wir sie nicht angreifen, sei es mit Worten oder mit Taten. Dass wir sie nicht verachten. Und dass wir nicht über sie richten.
Man muss z.B. Inzest dafür ja noch nicht einmal gutheißen. Nur davor andere auszugrenzen, sie zu verachten, sie anzugreifen, über sie zu richten – davor sollten wir uns alle hüten.


Wichtigen Beitrag zur Diskussion um Amokläufe im Internet entdeckt

14. April 2009

Vor ein paar Tagen habe ich im Internet zufällig einen Leserbrief an die Redaktion der Computerspiele-Zeitschrift „Maniac! Games“ entdeckt.
Hier ist er: mein-verhinderter-amoklauf.pdf
(Ich habe ihn selbst hochgeladen, als ich gemerkt habe, dass die URL geändert wurde. Nun findet man ihn hier: http://www.maniac.de/amoklauf?page=1.)

An alle, die diesen Link hier sehen: Bitte lest euch den Brief durch! Er hilft wirklich das Thema Amokläufe besser zu verstehen und ist ein wichtiger Beitrag zu der ganzen Diskussion.

In dem Leserbrief beschreibt ein Mann, dass er selbst einmal fast Amok gelaufen wäre, weil er jahrelangen Terror durch Mitschüler ertragen musste – einfach, weil er anders war als sie.

Ich war, als ich eingeschult wurde, sehr lern- und wissbegierig, in den ersten Jahren mit der Klassenbeste und las bereits Bücher, als die meisten anderen gerade erst mit dem ABC fertig waren. Ich war ein sehr ruhiges Kind – relativ unauffällig, friedlich und freundlich. Mit anderen Worten: Ich war anders als die meisten anderen. Zudem auch nicht besonders sportlich und körperlich schwächer als der Rest.

Ja, das war alles! Das reichte schon, um gemobbt zu werden! Ach, was schreibe ich – das, was diesem Jungen damals widerfahren ist, kann man nur als Terror übelster Sorte bezeichnen!

Am Tiefpunkt wollte der inzwischen Jugendliche diejenigen, die ihn jahrelang gequält haben, erschießen. Doch der Waffenschrank seines Vaters war an diesem Tag verschlossen.
Nach seinem Realschulabschluss zog er weg, nach Hamburg, wo er ein neues Leben anfing. Und glücklich wurde.

Zu der Diskussion um Spiele, in denen Gewalt vorkommt, schreibt er:

Wenn ich heutzutage lese, dass ‚Killerspiele‘ Menschen zu Monstern mutieren lassen, kann ich nur mit dem Kopf schütteln über so viel Ahnungslosigkeit und Dummheit. Menschen machen aus Menschen Killer, nicht Spiele – egal ob gewaltverherrlichend oder nicht. Auch ich zocke heute „Resident Evil“, „Silent Hill“ und freue mich tierisch auf „Mad World“. Allerdings haben mich solche Spiele nie aggressiv gemacht und werden es auch nie tun. Es sind Spiele. Nicht mehr, nicht weniger. Man wird nicht zum Amokläufer, weil man Killerspiele spielt, man spielt diese, um sich abzureagieren. Ein Ventil, nichts weiter.

Oder, mit meiner eigenen Formulierung, „eine klassische Verwechslung von Ursache und Wirkung“.
An anderer Stelle schreibt er in Erinnerung an den Terror in seiner Jugend, dass Videospiele sein „täglicher Begleiter“ geworden seien. „Ich brauchte diese, um mich abzureagieren“, erklärt er. „Ego-Shooter waren nie mein Ding, aber Prügelspiele, Horrorspiele, Rollenspiele. Ich flüchtete mich in Phantasiewelten, um nicht wahnsinnig zu werden.“

Ein paar Leserreaktionen auf den Brief vermuteten, er könne eine Fälschung sein. Ich halte ihn für echt. Und ich finde es absolut bewundernswert, dass dieser Mann heute so offen mit seinen Erlebnissen umgehen kann.


Mein gesellschaftspolitisches Interesse an "Tabuthemen"

13. April 2009

Vor einigen Wochen hatte ich mal wieder eines meiner „Erleuchtungserlebnisse“, bei denen mir plötzlich klar wird, wieso ich etwas tue oder mich für etwas interessiere.
Meistens passiert das spät abends, kurz bevor ich einschlafe. Dann kommen mir übrigens auch die besten Ideen für das Schreiben.

Diesmal betraf es mein Interesse an Themen, die von der Gesellschaft meist totgeschwiegen bzw. mit der konservativen Moralkeule niedergeknüppelt werden. Oder – noch schlimmer – von einigen Freaks verherrlicht.
Beispiele sind Homosexualität, Inzest/Inzucht oder Intersexualität.
Auch in meinem engeren Umfeld herrscht dazu die Meinung vor, dass man sich mit diesen Themen einfach nicht befasst. Für mich dagegen liegen sie am Puls der Gesellschaft und sind aus der Gesellschaftspolitik nicht wegzudenken.

Der Grund, aus dem ich mich für dem Umgang der Gesellschaft mit moralischen Tabuthemen interessiere, ist also einerseits mein politisches Interesse. Das war mir auch immer bewusst.
Erst kürzlich klar geworden ist mir dagegen, dass ich mich auch deshalb damit beschäftige, weil ich Intoleranz und Unterdrückung ablehne, ebenso wie die Weigerung verstehen zu wollen. Schlimm finde ich auch, wenn ein Mensch für das abgelehnt wird, was er ist, obwohl er nichts dafür kann.
Die oben genannten Themen sind dafür exemplarische Beispiele. Ich möchte einmal kurz im Einzelnen auf sie eingehen.

Intersexualität (Hermaphroditismus)

Hier ist es wohl angebracht zuerst einmal eine Begriffsdefinition voranzustellen: Intersexuelle Lebewesen werden sowohl mit männlichen als auch mit weiblichen Geschlechtsmerkmalen geboren. Sie sind „Zwitter“ oder „Hermaphroditen“, die nicht eindeutig einem Geschlecht zuzuordnen sind.

Menschenbabys, die intersexuell geboren werden, werden meist schon kurz nach der Geburt umoperiert. Dadurch wird ihnen eines der Geschlechter zugewiesen.
Hintergrund ist, dass man die Entwicklung des Kindes in unserer zweigeschlechtlich orientierten Welt nicht behindern und ihm die Orientierung als „männlich“ oder „weiblich“ erleichtern möchte.
Das Problem daran ist, dass man dabei keine Rücksicht auf den Willen des Kindes nimmt. So wird in Zeitungen immer wieder von Fällen berichtet, in den ein intersexueller Mensch sich selbst gerade als das Geschlecht, dem er nicht zugewiesen wurde, fühlt und die Ärzte, die ihn als Baby operiert haben, oder gar seine Eltern verklagt.

Ich bin davon überzeugt, dass man mit solchen Operationen das Selbstbestimmungsrecht des sich entwickelnden Individuums verletzt. Intersexuelle sollten die Möglichkeit haben sich selbst frei für eines der beiden Geschlechter zu entscheiden – oder auch für gar keines. Was ist so schlimm daran, wenn jemand nicht eindeutig „männlich“ oder eindeutig „weiblich“ ist? Es gibt absolut keine Entschuldigung dafür jemanden aus der Gesellschaft auszustoßen, nur weil er anders ist. Zumal er ja nichts dafür kann – und selbst wenn er etwas dafür könnte, wäre es nicht zu entschuldigen!

Homosexualität

In dem englischen Theaterstück „Another Country“ von Julian Mitchell fand ich auf S. 89 die Sätze:

Bennett: It doesn’t come as any great revelation [that one is homosexual]. It’s more like admitting to yourself – what you’ve always known. […]
Judd: You can’t trust intuitions like that.
Bennett: What else is there? Are you a communist because you read Karl Marx? No. You read Karl Marx because you know you’re a communist.

Und da habe ich es verstanden.
Nun bin ich zwar weit davon entfernt Kommunistin zu sein, aber ich habe auch eine starke politische Überzeugung. Vor meiner Wahlmündigkeit habe ich Wahlprogramme gelesen (ja, es gibt tatsächlich Leute, die das tun), um zu prüfen, welche Partei meine Interessen am besten vertritt. Nur, um mir dann eingestehen zu müssen, dass mir eigentlich längst klar war, wo meine politische Heimat liegt. Weil ich „ich“ bin.
Man kann sich nicht aussuchen, ob man hetero-, homo- oder bisexuell ist. Man wird mit der entsprechenden Veranlagung geboren.

Inzest/Inzucht

Zunächst mal eine Begriffsdefinition:
Inzest bezeichnet sexuelle Handlungen zwischen verwandten Personen. In der Bundesrepublik Deutschland ist Inzest zwischen Geschwistern bzw. Verwandten auf- und absteigender Linie (Kind-Eltern-Großeltern) nach §173 StGB strafbar.
Inzucht bezeichnet die Paarung nah verwandter Individuen mit dem Ziel Nachkommen zu erzeugen. Die Gefahr dabei ist vor allem, dass eventuell bestehende Erbkrankheiten, die dominant-rezessiv vererbt werden, gehäuft auftreten. Beispiel ist die Bluterkrankheit, die insbesondere in manchen europäischen Adelsgeschlechtern häufiger als im Durchschnitt der Bevölkerung auftritt.

Meiner Meinung nach sollte man den §173 StGB streichen. Unter anderem deshalb, weil man nicht bewusst beeinflussen kann, wen man liebt – ein Grund, der natürlich auch im Falle der Homosexualität zutrifft.

Nur zur Klarstellung: Das bedeutet selbstverständlich nicht, dass ich Inzest aus einem Abhängigkeitsverhältnis heraus in irgendeiner Weise gutheißen würde. Auch das, was in Amstetten passiert ist – der „Inzestfall“ Fritzl -, ist eine ganz andere Geschichte. Hierbei handelt es sich um jahrelange Freiheitsberaubung, Vergewaltigung und schließlich Mord an einem wehrlosen Säugling.

Eine sehr gute Begründung, weshalb der §173 StGB gestrichen werden sollten, gibt der ehemalige Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, Winfried Hassemer, in seinem Sondervotum zum Bundesverfassungsgerichtsurteil vom 26. Februar 2008. Der Rechtsstreit betraf ein Geschwisterpaar mit vier zum Teil behinderten Kindern. Hassemers abweichende Meinung ist nachzulesen auf: http://www.bverfg.de/entscheidungen/rs20080226_2bvr039207.html (ab Abs. 73).
Auch die Absätze 1-72, in denen die Senatsmehrheit begründet, weshalb sie den Inzestparagraphen für verfassungsgemäß hält, ist sehr interessant. Darin wird u.a. auch auf die Rechtsgeschichte des Inzestverbots eingegangen.