Vor einigen Wochen hatte ich mal wieder eines meiner „Erleuchtungserlebnisse“, bei denen mir plötzlich klar wird, wieso ich etwas tue oder mich für etwas interessiere.
Meistens passiert das spät abends, kurz bevor ich einschlafe. Dann kommen mir übrigens auch die besten Ideen für das Schreiben.
Diesmal betraf es mein Interesse an Themen, die von der Gesellschaft meist totgeschwiegen bzw. mit der konservativen Moralkeule niedergeknüppelt werden. Oder – noch schlimmer – von einigen Freaks verherrlicht.
Beispiele sind Homosexualität, Inzest/Inzucht oder Intersexualität.
Auch in meinem engeren Umfeld herrscht dazu die Meinung vor, dass man sich mit diesen Themen einfach nicht befasst. Für mich dagegen liegen sie am Puls der Gesellschaft und sind aus der Gesellschaftspolitik nicht wegzudenken.
Der Grund, aus dem ich mich für dem Umgang der Gesellschaft mit moralischen Tabuthemen interessiere, ist also einerseits mein politisches Interesse. Das war mir auch immer bewusst.
Erst kürzlich klar geworden ist mir dagegen, dass ich mich auch deshalb damit beschäftige, weil ich Intoleranz und Unterdrückung ablehne, ebenso wie die Weigerung verstehen zu wollen. Schlimm finde ich auch, wenn ein Mensch für das abgelehnt wird, was er ist, obwohl er nichts dafür kann.
Die oben genannten Themen sind dafür exemplarische Beispiele. Ich möchte einmal kurz im Einzelnen auf sie eingehen.
Intersexualität (Hermaphroditismus)
Hier ist es wohl angebracht zuerst einmal eine Begriffsdefinition voranzustellen: Intersexuelle Lebewesen werden sowohl mit männlichen als auch mit weiblichen Geschlechtsmerkmalen geboren. Sie sind „Zwitter“ oder „Hermaphroditen“, die nicht eindeutig einem Geschlecht zuzuordnen sind.
Menschenbabys, die intersexuell geboren werden, werden meist schon kurz nach der Geburt umoperiert. Dadurch wird ihnen eines der Geschlechter zugewiesen.
Hintergrund ist, dass man die Entwicklung des Kindes in unserer zweigeschlechtlich orientierten Welt nicht behindern und ihm die Orientierung als „männlich“ oder „weiblich“ erleichtern möchte.
Das Problem daran ist, dass man dabei keine Rücksicht auf den Willen des Kindes nimmt. So wird in Zeitungen immer wieder von Fällen berichtet, in den ein intersexueller Mensch sich selbst gerade als das Geschlecht, dem er nicht zugewiesen wurde, fühlt und die Ärzte, die ihn als Baby operiert haben, oder gar seine Eltern verklagt.
Ich bin davon überzeugt, dass man mit solchen Operationen das Selbstbestimmungsrecht des sich entwickelnden Individuums verletzt. Intersexuelle sollten die Möglichkeit haben sich selbst frei für eines der beiden Geschlechter zu entscheiden – oder auch für gar keines. Was ist so schlimm daran, wenn jemand nicht eindeutig „männlich“ oder eindeutig „weiblich“ ist? Es gibt absolut keine Entschuldigung dafür jemanden aus der Gesellschaft auszustoßen, nur weil er anders ist. Zumal er ja nichts dafür kann – und selbst wenn er etwas dafür könnte, wäre es nicht zu entschuldigen!
Homosexualität
In dem englischen Theaterstück „Another Country“ von Julian Mitchell fand ich auf S. 89 die Sätze:
Bennett: It doesn’t come as any great revelation [that one is homosexual]. It’s more like admitting to yourself – what you’ve always known. […]
Judd: You can’t trust intuitions like that.
Bennett: What else is there? Are you a communist because you read Karl Marx? No. You read Karl Marx because you know you’re a communist.
Und da habe ich es verstanden.
Nun bin ich zwar weit davon entfernt Kommunistin zu sein, aber ich habe auch eine starke politische Überzeugung. Vor meiner Wahlmündigkeit habe ich Wahlprogramme gelesen (ja, es gibt tatsächlich Leute, die das tun), um zu prüfen, welche Partei meine Interessen am besten vertritt. Nur, um mir dann eingestehen zu müssen, dass mir eigentlich längst klar war, wo meine politische Heimat liegt. Weil ich „ich“ bin.
Man kann sich nicht aussuchen, ob man hetero-, homo- oder bisexuell ist. Man wird mit der entsprechenden Veranlagung geboren.
Inzest/Inzucht
Zunächst mal eine Begriffsdefinition:
Inzest bezeichnet sexuelle Handlungen zwischen verwandten Personen. In der Bundesrepublik Deutschland ist Inzest zwischen Geschwistern bzw. Verwandten auf- und absteigender Linie (Kind-Eltern-Großeltern) nach §173 StGB strafbar.
Inzucht bezeichnet die Paarung nah verwandter Individuen mit dem Ziel Nachkommen zu erzeugen. Die Gefahr dabei ist vor allem, dass eventuell bestehende Erbkrankheiten, die dominant-rezessiv vererbt werden, gehäuft auftreten. Beispiel ist die Bluterkrankheit, die insbesondere in manchen europäischen Adelsgeschlechtern häufiger als im Durchschnitt der Bevölkerung auftritt.
Meiner Meinung nach sollte man den §173 StGB streichen. Unter anderem deshalb, weil man nicht bewusst beeinflussen kann, wen man liebt – ein Grund, der natürlich auch im Falle der Homosexualität zutrifft.
Nur zur Klarstellung: Das bedeutet selbstverständlich nicht, dass ich Inzest aus einem Abhängigkeitsverhältnis heraus in irgendeiner Weise gutheißen würde. Auch das, was in Amstetten passiert ist – der „Inzestfall“ Fritzl -, ist eine ganz andere Geschichte. Hierbei handelt es sich um jahrelange Freiheitsberaubung, Vergewaltigung und schließlich Mord an einem wehrlosen Säugling.
Eine sehr gute Begründung, weshalb der §173 StGB gestrichen werden sollten, gibt der ehemalige Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, Winfried Hassemer, in seinem Sondervotum zum Bundesverfassungsgerichtsurteil vom 26. Februar 2008. Der Rechtsstreit betraf ein Geschwisterpaar mit vier zum Teil behinderten Kindern. Hassemers abweichende Meinung ist nachzulesen auf: http://www.bverfg.de/entscheidungen/rs20080226_2bvr039207.html (ab Abs. 73).
Auch die Absätze 1-72, in denen die Senatsmehrheit begründet, weshalb sie den Inzestparagraphen für verfassungsgemäß hält, ist sehr interessant. Darin wird u.a. auch auf die Rechtsgeschichte des Inzestverbots eingegangen.