Büchners „Dantons Tod“ in den Münchner Kammerspielen – Teil 2

1. Januar 2014

Das „Büchnerjahr“ 2013 durfte nicht zu Ende gehen, ohne von mir bei einem Theaterbesuch zelebriert zu werden. Georg Büchners (1813-1837) „Dantons Tod“ (1835) habe ich am 29. Dezember 2013 in einer Bearbeitung von Matthias Günther und Tobias Staab in den Münchner Kammerspielen gesehen. Nachdem ich meine eigene Interpretation des Dramas vorausgeschickt habe (Teil 1), möchte ich nun meine Eindrücke von der Inszenierung wiedergeben (Teil 2).

Die beiden Dramaturgen Günther und Staab haben dem ohnehin schon mehrschichtigen Dramentext, in den Büchner Quellen aus der Zeit der Französischen Revolution einmontiert hat, noch weitere Textlagen hinzugefügt. So weist schon der eingangs von einem der Präsidenten des Revolutionstribunals, Herman (Hans Kremer), gesprochene Text darauf hin, in welchem Sinne man das Stück interpretiert wissen möchte: als Drama über die conditio humana, über die Bedingungen des Menschseins und die „Natur“ bzw. das „Wesen“ des Menschen. Diese Perspektive zieht sich durch praktisch alle hinzumontierten Textpassagen und findet ihren Kulminations- und Schlusspunkt darin, dass Robespierre (Wolfgang Pregler) als seine „Letzte[n] Worte“ auf der Bühne den Schluss des Romans „Elementarteilchen“ (Les particules élémentaires, 1998) des französischen Schriftstellers Michel Houellebecq zitiert, das mit dem pathetischen Satz endet: „Dieses Buch ist dem Menschen gewidmet“ (S. 357). Ein Satz, den man angesichts der Handlung sowohl des Dramas als auch des Romans (der, kurz gesagt, die Selbstabschaffung des Menschen durch die Gentechnik zum Thema hat) wohl nur ironisch verstehen kann. Allerdings als doppelte Ironie, die sich selbst auflöst: Michel Houellebecqs doppelbödige Erzählweise entlarvt durch innere Widersprüche die menschenverachtende Ideologie seines personalen Erzählers Michel, der das Glück der Menschheit im Ende seiner natürlichen Reproduktion sieht, und liefert damit letztlich doch ein echtes Plädoyer für den (nicht gentechnisch veränderten) Menschen. Ebenso selbstentlarvend menschenverachtend ist für die Dramaturgen das Gerede Robespierres (z.B. „Die Revolutionsregierung ist der Despotismus der Freiheit gegen die Tyrannei“, I,3)  und St. Justs (v.a. seine Rechtfertigung des terreur in II,7: „Die Schritte der Menschheit sind langsam, man kann sie nur nach Jahrhunderten zählen; hinter jedem erheben sich die Gräber von Generationen. Das Gelangen zu den einfachsten Erfindungen und Grundsätzen hat Millionen das Leben gekostet, die auf dem Wege starben. Ist es denn nicht einfach, daß zu einer Zeit, wo der Gang der Geschichte rascher ist, auch mehr Menschen außer Atem kommen?“). Auch ex negativo und mittels einer intertextuellen Analogie lässt sich Büchners Drama also als Plädoyer für Menschlichkeit deuten. Bestätigt wird diese Interpretation durch den ausdrücklichen Überdruss der gemäßigten Jakobiner am Töten, etwa durch Héraults Reden gegenüber seinen Freunden („Die Revolution muß aufhören, und die Republik muß anfangen“, etc., I,1 – bei den Münchner Kammerspielen, wenn ich mich recht erinnere, Lacroix zugewiesen, da Hérault gestrichen wurde). Ob dieses Additum wirklich nötig gewesen wäre? Ob es außerdem nötig gewesen wäre, dass sich Robespierre nackt auszieht, während er spricht – der Mensch in seiner physischen Verletzlichkeit – und den Theaterbesucher so noch mit der Nase auf diese Deutung stößt?

Die Nacktheit des kleinbürgerlichen Tyrannen auf der Bühne erinnerte mich an Bert Brechts „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“ (1941) in der aktuellen Inszenierung des Berliner Ensembles, in der sich Arturo Ui a.k.a. Adolf Hitler auch einmal nackt auf der Bühne befindet. Ebenso intonierte Pregler Robespierres Monolog nach der Konfrontation mit Danton (Pierre Bokma) in I,6 im Stil einer grotesk-komischen Hitlerrede bzw. einer Rede Arturo Uis – ein weiterer intertextueller Bezug. Überhaupt scheint sich die Inszenierung stark an Brechts epischem Theater zu orientieren, als dessen Vorläufer vor allem Büchners „Woyzeck“ gilt: Die fiktionale Realität auf der Bühne wird schon von Anfang an durchbrochen. Kein Vorhang wird betätigt, nie erfolgt ein Szenenwechsel durch Veränderung des Bühnenbilds, es gibt kaum Auf- und Abtritte. Die Dantonisten sprechen oft in Anwesenheit der Robespierristen und umgekehrt. Das Bühnenbild selbst ist stilvoll: eine mit Kerzen geschmückte lange Tafel, an deren Ende ein Streicher-Ensemble sitzt, das während der gesamten Aufführung für Live-Musik sorgt (komponiert von Carl Oesterhelt).  Abwechslung erzeugen die Leinwände an der hinteren Bühnenwand, auf die zum einen szenenweise Schwarzweißbilder einer Kamera projiziert werden, die auf einem sich drehenden Tisch in der Mitte der Tafel liegt. Zum anderen werden so Stimmungen oder Vorstellungswelten der Charaktere ausgedrückt, z.B. Sommer oder Winter oder auch Dantons Frau Julie (Anna Drexler), die sich angesichts der Verhaftung und bevorstehenden Exekution Dantons auf eine blühende Sommerwiese fortträumt. Verfremdungseffekte entstehen auch, wenn einzelne Passagen erst im französischen Original und dann auf Deutsch gesprochen werden oder wenn der Bürger Simon (Benny Claessens) zuweilen statt gesprochener Passagen linksradikale Lieder singt („Totgeschlagen, wer kein Loch im Rock hat!“, I,2). Herman erhält eine Doppelfunktion als Revolutionsrichter und fast schon allwissender Erzähler, der historische Erläuterungen zur Revolution und den Septembermorden liefert und in der eigentlich monologischen Flucht-Szene (II,4) als Freud-Verschnitt einen fast schon psychoanalytischen Dialog mit Danton führt, der keine Lust zu fliehen hat. St. Just wird von einer Schauspielerin gespielt (Annette Paulmann) – so weit, so gut, wird doch auch der „echte“ Saint-Just von Zeitgenossen als attraktiver, androgyn wirkender junger Mann beschrieben. Allerdings kann man Annette Paulmann in Kleid und Highheels nun wirklich nicht als androgyn bezeichnen; im Gegenteil erscheint sie so als Verkörperung der Marianne, wie in Delacroix’ berühmten Gemälde „Die Freiheit führt das Volk“ (La Liberté guidant le peuple, 1830). Grotesk  wird es allerdings, wenn St Justs große Hetzrede (II,7) zum Gespräch mit Lucile (Marie Jung) wird, die ihm gegenübersitzt, und bruchlos in Olympe de Gouges’ „Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin“ (Déclaration des droits de la femme et de la citoyenne, 1791) übergleitet und vor allem aus der Vorrede, aber auch aus den Artikeln zitiert: „Die Frau hat das Recht das Schafott zu besteigen; sie muss gleichermaßen das Recht haben, die [Redner-]Tribüne zu besteigen“ (Art. 10). Von derlei politischen und nach Auffassung vieler Zeitgenossen „unweiblichen“ Vorstellungen hielt auch Saint-Just nichts – ganz zu schweigen davon, dass Olympe de Gouges den gemäßigten Girondisten nahestand. Schade fand ich, dass die „volksverhetzende“ Dimension der Rede dadurch abgemildert wurde (falls die Intention gewesen sein sollte, auf die Radikalität auch der Forderungen der Olympe de Gouges in ihrer Zeit hinzuweisen, kam das bei mir jedenfalls nicht an). Auch Dantons Nihilismus und sein Wunsch, durch Selbstauslöschung Ruhe zu finden, wirkten in dieser Inszenierung merklich gedämpft. Dies lag zum einen wohl daran, dass die Figur des Philippeau als gläubiger Gegenpol zum Atheisten Danton gestrichen worden war und passte zum anderen wohl nicht recht in die Interpretation Günthers und Staabs, die das Drama durch hinzugefügte Texte bis zu einem Bericht von der Ermordung Robespierres weiterführten, statt es mit der Hinrichtung der gemäßigten Jakobiner und Luciles selbstmörderischem „Es lebe der König! (IV,9)“ enden zu lassen. (Übrigens glaube ich entgegen Camilles Deutung in IV,5 nicht, dass es wirklich der Wahnsinn ist, der aus Lucile spricht, sondern eher der tragische Wunsch, ohne ihren Liebsten Camille nicht leben zu können und zu wollen. Im Gegensatz zu Dantons Frau Julie, die eigentlich Louise hieß und eine Freundin seiner im Kindbett gestorbenen ersten Frau Antoinette war, folgte sie ihrem Mann ja wirklich in den Tod, und das auf ähnliche Weise wie im Drama dargestellt.)

Auch wenn mich die conditio humana-Deutung von „Dantons Tod“ nicht ganz überzeugt – es ist schließlich kein auf Allgemeingültigkeit angelegtes Ideendrama, sondern eine Studie der Französischen Revolution und ihrer Protagonisten einerseits und eine Darstellung persönlicher philosophischer Ansichten Büchners andererseits –, halte ich sie doch insgesamt für plausibel. Wirklich schief fand ich nur zwei Szenen: die schon erwähnte Rede von St. Just-Olympe und Dantons Verteidigungsrede vor dem Revolutionstribunal (III,9), die Pierre Bokma doch tatsächlich weinerlich vortrug. Jemand, der sich die eigene Selbstauslöschung wünscht (auch wenn er sie für letztlich nicht erreichbar hält), hält eine solche Rede doch nicht schluchzend! „[D]as Leben ist mir zur Last, man mag mir es entreißen, ich sehne mich danach, es abzuschütteln“, sagt er in seiner ersten Anhörung (III,4)! Abgesehen davon hat mich Bokma als Danton aber wirklich überzeugt; die vielbeschriebene Vitalität des Revolutionärs brachte er gut zum Ausdruck. (Die innere Erstarrung – Stichwort Nihilismus – im Gegensatz zur äußeren Lebhaftigkeit nicht ganz so gut, aber das lag eindeutig an der Inszenierung; seine Interpretation von III,9 mit Sicherheit auch.) Die Theaterbesucher schienen vor allem die Bühnenkonstruktion und die hinzugefügten Szenen zu irritieren; schlussendlich bekamen Pierre Bokma als Danton und Wolfgang Pregler als Robespierre zwar – verdient! – den meisten Applaus, die Musiker insgesamt aber mehr Beifall als die Schauspieler.

Insgesamt ist die Inszenierung sehens- und durchdenkenswert. Wer kann und möchte, kann sie noch am 5. Januar 2014 um 19 Uhr oder 10. Februar 2014 um 19.30 Uhr in den Münchner Kammerspielen sehen; weitere Termine sind bislang nicht angegeben.


Büchners „Dantons Tod“ in den Münchner Kammerspielen – Teil 1

1. Januar 2014

Das „Büchnerjahr“ 2013 mit dem 200. Geburtstag des Dichters durfte nicht zu Ende gehen, ohne von mir bei einem Theaterbesuch zelebriert zu werden. Georg Büchners (1813-1837) „Dantons Tod“ (1835) habe ich am 29. Dezember 2013 in einer Bearbeitung von Matthias Günther und Tobias Staab in den Münchner Kammerspielen gesehen. Bevor ich meine Eindrücke von der Inszenierung wiedergebe (Teil 2), möchte ich meine eigene Interpretation des Dramas vorausschicken (Teil 1), das neben Goethes „Faust I“ mein Lieblingsdrama ist. Zitiert wird nach der Szenenaufteilung von „Dantons Tod“ bei „Projekt Gutenberg“.

Wesentlich ist aus meiner Sicht die Darstellung Dantons als eines Menschen, der an den Unmenschlichkeiten der Revolution verzweifelt, die für das Volk keine Besserung seiner Lage mit sich gebracht haben. Er kann nicht mehr an die Willensfreiheit und die Wirksamkeit menschlichen Handelns glauben; stattdessen betrachtet er den Gang der Geschichte als unberechenbar (Fatalismus): „Puppen sind wir, von unbekannten Gewalten am Draht gezogen; nichts, nichts wir selbst!“ (II, 5). Handeln erscheint ihm vom Einzelnen nicht steuerbar; er stürzt in Lethargie und Langeweile, die er durch „Genuss“ nach dem Motto „Wein, Weib und Gesang“ betäubt – was nicht zuletzt zu seiner Gefangennahme und Hinrichtung beiträgt. Bezeichnend der Wortwechsel zwischen Lacroix und Danton in der ersten Szene (I,1), der als epische Vorausdeutung das Ende schon vorwegnimmt: „Wir müssen handeln.“ – „Das wird sich finden.“ – „Es wird sich finden, wenn wir verloren sind.“
Dantons fatalistisches Geschichtsverständnis führt allerdings nicht dazu, dass er die Verantwortung Einzelner für bestimmte Ereignisse ganz negiert. Im Gegenteil fühlt er sich persönlich an den „Septembermorden“ von 1792 schuldig, die er als damaliger Justizminister mit befördert hat. Diese Schuld quält ihn ebenso wie das Bewusstsein, dass die Revolution nichts für die einfache Bevölkerung erreichen konnte.

Robespierre, der ihm wegen seiner Genusssucht sittliche Verfehlungen vorwirft, hält Danton den sprichwörtlichen Spiegel vor und entlarvt dessen Tugendhaftigkeit als Selbstgerechtigkeit: „Ich würde mich schämen, dreißig Jahre lang mit der nämlichen Moralphysiognomie zwischen Himmel und Erde herumzulaufen, bloß um des elenden Vergnügens willen, andre schlechter zu finden als mich. – Ist denn nichts in dir, was dir nicht manchmal ganz leise, heimlich sagte: du lügst, du lügst!?“ (I,6) Tatsächlich stürzt er den „Unbestechlichen“ damit in Selbstzweifel, doch aus dieser Handlungslosigkeit entreißt ihn sein Scharfmacher St. Just sogleich wieder, um den Tod der Dantonisten zu beschließen.

Danton ist seines Lebens überdrüssig; er sehnt sich nach Selbstauslöschung und damit auch der Auslöschung seiner Seelenqual, möchte endlich Ruhe im Nichts finden. Doch auch der Nihilismus bietet ihm letztlich keine Zuflucht: „Der verfluchte Satz: Etwas kann nicht zu nichts werden! Und ich bin etwas, das ist der Jammer!“ (III,7). Sogar die Selbstauslöschung erscheint also als Ding der Unmöglichkeit. Danton will nicht mehr leben, doch auch im Tod ist für ihn keine Hoffnung auf Erlösung – religiöse ohnehin nicht, aber eben auch keine philosophische.
Oder vielleicht doch? Dantons letzte Worte, bevor er von der Conciergerie auf den Revolutionsplatz zur Hinrichtung geführt werden, lauten: „Die Welt ist das Chaos. Das Nichts ist der zu gebärende Weltgott.“ (IV,5) Die vage Hoffnung, dass das ersehnte Nichts irgendwann entstehen könnte (wie die Welt nach Hesiods Theogonie (Θεογονία), auf die Büchner hier wohl anspielt, oder Gen 1,1 irgendwann aus dem Chaos entstanden ist, möchte man hinzufügen), hat er also nicht ganz aufgegeben. Aber nach Hesiods „Werke und Tage“ (Ἔργα καὶ Ἡμέραι) blieb ja auch in der Büchse der Pandora am Ende nur die trügerische(!) Hoffnung zurück…
Dantons Philosophie ist kein geschlossenes System; sie wandelt sich im Verlauf des Stücks.

Dass sich Danton am Ende vor dem Revolutionstribunal doch gegen seine Ankläger verteidigt (III,9 und 10), ist wohl mehr dem Wunsch geschuldet, es den radikalen Jakobinern um Robespierre nicht gar zu leicht zu machen und die eigene Haut nicht gar so billig zu verkaufen, als ein ernsthafter Versuch, sie zu retten. Es gelingt ohnehin nicht; die Volksmasse ist zu wankelmütig und unberechenbar, als dass sie sich von Dantons Argumenten dauerhaft gewinnen ließe. Aber ist auch hier nicht eine leise Hoffnung? Die Hoffnung nämlich, dass der Tod der gemäßigten Jakobiner um Danton bereits den Sturz Robespierres vorwegnimmt – und damit letztlich doch das Ende des Terreur und seines sinnlosen Mordens bringt. „Ihr tötet uns an dem Tage, wo ihr den Verstand verloren habt; ihr werdet sie an dem töten, wo ihr ihn wiederbekommt“ (IV,7) – so spricht allerdings nicht Danton, sondern Lacroix, der ja weiter an der Bedeutsamkeit menschlichen Handelns festhält. Gut möglich, dass Danton seine flammende Verteidigungsrede nur aus Verbundenheit mit seinen Freunden hält, die mit ihm todgeweiht sind, weil er nicht handelte, als vielleicht noch Zeit gewesen wäre. Lacroix’ Worte sind und bleiben aber eine Vorausdeutung – keine intrafiktionale, sondern eine auf den weiteren Verlauf der Geschichte. Sie lassen zumindest diese Überlegung zu: Wenn Dantons philosophische Reflexionen über das Nichts und die Geschichte Büchners persönliche Überzeugungen wiedergeben (was man wohl annehmen darf, da Büchner entsprechende Überlegungen in Briefen äußert), dann ist Dantons/Büchners Geschichtsfatalismus vielleicht ebenso brüchig wie Dantons/Büchners Nihilismus. Ein geradezu postmodernes Denken, dieses Vielleicht-doch, das das Vorhandensein absolut gesetzter Überzeugungen/Ideologien negiert, ohne letztlich eine Lösung anbieten zu können. Ja, auch Büchners eigenes Handeln als Revolutionär in der Vormärzzeit, insbesondere seine Flugschrift „Der Hessische Landbote“ (1834), blieb letztlich ohne die erhoffte Wirkung. Aber … vielleicht doch?

Kurzum: Für mich sind zum einen die philosophische Dimension des Dramas (Geschichtsfatalismus und Nihilismus wie auch das Ungenügen an ihnen) und zum anderen die (entsprechend der Quellen, die Büchner zur Verfügung standen) möglichst realistische Darstellung der Revolutionszeit die beiden wesentlichen Interpretationszugänge zum Drama. Zu letzterem Punkt, auf den ich hier nur oberflächlich eingegangen bin, zählen sowohl die Darstellung der prekären Situation des Volkes und der Eigendynamik von Volksmassen als auch die zahlreichen wörtlich eingewobenen Quellenpassagen insbesondere in Bezug auf politische Äußerungen. Die wörtlichen Zitate sind, ebenso wie die vielen klassizistischen Anspielungen der Revolutionäre auf die Antike, für die intertextuelle Mehrschichtigkeit des Dramas wichtig; ich will aber nicht verhehlen, dass mich die philosophische Seite mehr interessiert, ich ihr deshalb auch mehr Raum gegeben habe.


Immerwährende 365-Tage-Kalender

28. Juli 2013

Nachdem ich in meinem Eintrag vom 27. Juli 2013 auf den Paperblanks-Kalender eingegangen bin, das Geburtstagsgeschenk für meinen Vater, möchte ich nun auf das Namenstagsgeschenk für meine Oma zu sprechen kommen: einen immerwährenden 365-Tageskalender mit je einem Bild und einem Spruch pro Tag von Weltbild, 365 Weisheiten der Welt. Ich habe diesen Kalender ausgewählt, weil meine Oma schöne Bilder mit Sprüchen dazu sehr gerne mag. Tatsächlich hat sie sich sehr darüber gefreut. 🙂

Was mich betrifft, ist es zwar nicht so, dass ich Zitate und schöne Bilder grundsätzlich nicht mag, aber mir sind politische Statements deutlich lieber – oder solche Zitate, die (obwohl vom Verfasser natürlich nicht beabsichtigt) manchmal geradezu erschreckend prophetisch wirken:

Und eh‘ ihr einen Schläger
Erhebt zum Völkermord,
Sucht unsern Bannerträger,
Das freie Wort!

— 2. Strophe des Gedichts „Das freie Wort“ von Georg Herwegh (1817-1875) aus der Sammlung „Gedichte eines Lebendigen“, Teil 1 (1841)

Sprüche wie „Das Glück ist das Einzige, das sich verdoppelt, wenn man es teilt“ sind dagegen weniger mein Fall – solche „Weisheiten“ finde ich platt und banal. Meine Oma nicht. Das ist ihr gutes Recht, aber es ist auch mein gutes Recht, diese Sprüche nicht zu mögen.
(Laut Wikipedia ist das Sprichwort mit dem doppelten Glück übrigens aus China; andere Internetstimmen schreiben es Albert Schweitzer zu. Vielleicht hat es ja auch einfach irgendein Sprüchekompilator mal selbst erfunden.)

Was ich unter einem „schönen Bild“ verstehe, ist vermutlich auch nicht ganz dasselbe wie das, was meine Oma dazu zählen würde: Blumen gehören nämlich nicht dazu, Wald und v.a. Wasser dagegen schon – Hauptsache, viel Dunkelgrün und Blau oder Gelb. Aber was rede ich – ihr seht ja das Design meines Blogs. Deshalb ist der „Weisheiten der Welt“-Kalender genau das Richtige für meine Oma – nicht für mich. Aber das Geschenk soll ja dem Beschenkten gefallen und Freude bereiten – nicht dem Schenkenden. Ergo: Ziel erfüllt! 🙂

Blatt vom 1. Juli aus dem Kalender "365 magische Momente"

Blatt vom 1. Juli aus dem Kalender „365 magische Momente“

Kunst und v.a. Architektur gehören für mich auf jeden Fall und ganz besonders zu den „schönen Bildern“, z.B. der romanische Kreuzgang eines Klosters oder gotische Kathedralen. Deshalb besitze ich selbst den immerwährenden Tageskalender Eine Reise ins Mittelalter. 365 magische Momente von Pattloch (Verlagsgruppe Droemer Knaur), an dem mich aber mitunter extrem stört, dass nirgends angegeben ist, was denn nun genau auf diesem oder jenem Bild zu sehen ist. Gut, ich erkenne schon ein paar Abbildungen, z.B. am 1. Juli die Tapisserie mit der „Jungfrau mit dem Einhorn“ als Symbol für Eitelkeit aus dem Pariser Musée de Cluny. Aber alles kenne ich eben auch nicht. Sogar das Wenigste.
Etwas besser ist es bei den Zitaten. Bei den Textzeilen „Das muss ein Armseliger sein, der nicht lebt und nicht liebt unter des Sommers Herrschaft“, ebenfalls für den 1. Juli, ist immerhin angegeben, dass sie „aus den Carmina Burana“ seien. Dass sie präzise gesagt aus „Ecce gratum“ (Nr. 143) stammen und im lateinischen Original „illi mens est misera/ qui nec vivit/ nec lascivit/ sub Estatis dextera“ heißen, könnte man sich aber auch dann leicht ergoogeln, wenn man weder von der Benediktbeurer Liederhandschrift noch von Carl Orffs szenischer Kantate je zuvor gehört hätte. Bei den Sprüchen ist es also schon in Ordnung, aber bei den Abbildungen ist es wirklich schade. Der Bildnachweis nennt leider nur die Rechteinhaber. Vermutlich stört es 95% der Käufer dieses Kalenders auch überhaupt nicht, dass genauere Quellenangaben bei den Bildern fehlen, aber ich empfinde es an dem sonst schönen Kalender als Manko. In mir schlägt halt ein Historiker-Herz.
Zur Ehrenrettung des Kalenders muss man auch sagen, dass er trotz des romantisch-mittelalterverklärenden Titels wirklich geschmackvoll ist. Und der Geschichtsdidaktiker in mir, der „zu ästhetisierend“ sagt, darf jetzt einfach mal ruhig sein… Außerdem: Selbst wenn ich hier kritisiere, dass der Kalender keine didaktischen Standards einhält – ich hab ihn mir gekauft, er steht auf meinem Schreibtisch, ich blättere ihn jeden Tag um, er gefällt mir. Punkt.


Zur Geschichte des Klosters Andechs

20. April 2013

… bis zur Säkularisation 1803 habe ich neulich einen Kurzvortrag gehalten, der auf allgemein verständlichem Niveau bleibt. Nachdem ich nicht weiß, was ich sonst damit tun soll (außer ihn auf meinem Rechner versauern zu lassen) und mir denke, dass der Text zur unkomplizierten Vorbereitung eines Andechs-Besuchs ganz sinnvoll sein kann – jedenfalls dann, wenn man dort nicht bloß Bier trinken gehen möchte, sondern auch ein gewisses (kunst-)historisches Interesse hat -, habe ich ihn hier in der Rubrik „Diverses“ online gestellt:

Geschichte der Burg und des Klosters Andechs bis zur Säkularisation 1803


L.E.A.F. – Leaf

20. August 2012

Heute hielt ich die Debut-CD der niederländischen Pagan Folk-Band L.E.A.F. (Lark, Elk and Fable) in meinen Händen. Die Band besteht aus Kaat Geevers, der langjährigen Partnerin von Oliver Pade (Faun), sowie Chlor Bakker, Thomas Biesmeijer und Maryn Sies. Auf der CD sind außerdem die ehemaligen Mitglieder Fieke van den Hurk und Sophie Zaaijer zu hören. Kaat kannte ich schon von der CD „Folk Noir – Songs From Home Nr. 1“, die sie zusammen mit Oliver aufgenommen hatte; da war die Entscheidung zum Kauf von L.E.A.F. unschwer getroffen.

Das Album Leaf ist im Juli 2012 erschienen und umfasst die sechs Titel „Under Nymånen“, „Fjarilar“, „Wind and Tree“, „Frühlingstanz“, „Bundet“ und „Winter“. Außerdem enthält es ein Booklet mit Texten, persönlichen Informationen der Band zu den einzelnen Stücken und Artwork von Fieke. Ihr Designstudio Orchus hatte auch schon für das wunderschöne Artwork zur Faun-CD „Eden“ verantwortlich gezeichnet.

Die Mini-CD „Leaf“ dauert zwar nur knapp 30 Minuten, kann mich aber trotz dieser Kürze vollkommen überzeugen. Für mich ist es das Pagan Folk-Album des Sommers, genau wie es „Eden“ von Faun im letzten Jahr war. Tatsächlich erinnert es mich klanglich streckenweise an den Stil der Faune – was in Anbetracht dessen, wie gut sich Kaat und Oliver kennen, auch nicht verwunderlich ist. Außerdem geht der Einfluss mit Sicherheit nicht einseitig von Oliver aus, sondern ist wechselseitig. Was mich betrifft, kann es sowieso nie genug melodischen Pagan Folk mit vielen nicht-verstärkten Instrumenten und einer Mischung traditioneller und eigener Kompositionen und Texte geben. Und, noch einmal: Die Musik von L.E.A.F. ist einfach wunderschön.

Leaf

Das erste Lied, Under Nymånen, basiert auf dem Gedicht „Flickan under nymånen“ des schwedischen Schriftstellers und Literaturkritikers Bo Bergman (1869-1967), das Kaat leicht umarrangiert hat. Es handelt von einem Mädchen, das den Mond anruft, damit sie (kein Fehler, der Mond ist hier weiblich) einen Sturm heraufbeschwört, um den Liebsten des Mädchens zurückzubringen. Der Text und eine Übersetzung finden sich auf der Homepage von Leaf. Der Song wird vor allem vom Kaats schöner Stimme getragen und hat auch eine sehr schöne Geigenpassage.

Darauf folgt Fjarilar, das ebenfalls auf einem Text von Bo Bergman basiert. Hier handelt der relativ kurze, nur am Anfang des Liedes zu hörende Text vom Gegensatz zwischen (noch) unberührter Natur und Umweltverschmutzung durch rauchende Fabrikschlote. Neben der rhythmischen Melodie sind im Hintergrund auch immer wieder Naturgeräusche zu hören.

Wind and Tree beschreibt den Gegensatz zwischen männlicher und weiblicher Kraft. Die weibliche Kraft wird hier vom erdverwurzelten Baum repräsentiert, die männliche durch den Wind, der zwar die Blätter und Zweige des Baums bewegen kann, aber immer weiter fort muss. (N.B. Ich finde diese Metaphern ja sehr poetisch, aber eben auch verdammt konservativ-traditionell. Nicht, dass ich das L.E.A.F. in irgendeiner Weise vorwerfen würde, aber ich bin bei solchen Texten immer etwas zerrissen zwischen der Bewunderung für das schöne Bild und dem rationalen Hinterfragen desselben.) Die Melodie ist rhythmisch-flott, der Gesang wunderschön und der englische Text poetisch. Dem Booklet zufolge geht er wieder auf Bo Bergman zurück.

Das Instrumentalstück Frühlingstanz wirkt leicht, fröhlich und (spät-) frühlingshaft.

Laut dem Booklet ist Bundet der bisher experimentellste Song von L.E.A.F., der auf das Lied „Trøllabundin“ der färöischen Sängerin und Komponistin Eivør Pálsdóttir (* 1983) zurückgeht. Der Titel bedeutet so viel wie „Verzaubert“ (… und dies ist wieder mal ein Fall, in dem die deutsche Sprache in Bezug auf die Übersetzung nordischer Sprachen unzulänglicher ist als die englische, die mit „spellbound“ zumindest ein Fast-Äquivalent zu verzeichnen hat). Für ihr Album haben L.E.A.F. Maria Franz, die norwegische Sängerin der Band Euzen, gebeten, „Trøllabundin“ in einen alten norwegischen Dialekt zu übersetzen.
Die Vocals für „Bundet“ wurden mit einem Halleffekt unterlegt, wodurch sie fast zu schweben scheinen. Außerdem finde ich, dass es durch Hall bei ruhigerer Musik häufig so wirkt, als habe man nicht im Tonstudio, sondern einer Kirche oder einem anderen hohen Raum aufgenommen. Was im Gegensatz zum Original besonders auffällt, ist die deutlich stärkere Instrumentierung, die der Adaption eine völlig andere Struktur verleiht als dem Original. Auf jeden Fall sind beide Versionen sehr, sehr schön.

Seinen würdigen Abschluss findet das Album mit dem Instrumentalstück Winter, zu dessen melancholischer Melodie Kaat dem Booklet zufolge während des rauen Winters im Jahr 2007 inspiriert wurde, als sie allein auf ihrer Nyckelharpa spielte. Nach den eher frühlingshaft-sommerlichen übrigen Stücken endet „Leaf“ damit in der düsteren und kalten Jahreszeit.

Und wer danach nicht den Replay-Button drückt, ist selbst schuld. 😉

Eine schöne Rezension gibt es auf der Webseite des UnArt-Magazins.
Erhältlich ist das Album wohl am einfachsten im Miroque-Onlineshop.


Ozymandias, oder: Warum ich keine Althistorikerin bin

15. Januar 2012

Das Studium der Alten Geschichte umfasst die griechisch-römische Welt der Antike. Dieses Gedicht über eine Statue des Pharao Ramses II. (griechisch „Ozymandias“) ist einer der Gründe, weshalb ich finde, dass ich mich nicht unbedingt zur Althistorikerin eigne:

Percy Bysshe Shelley (1792-1822): Ozymandias
I met a traveller from an antique land,
Who said — „two vast and trunkless legs of stone
Stand in the desert … near them, on the sand,
Half sunk a shattered visage lies, whose frown,
And wrinkled lips, and sneer of cold command,
Tell that its sculptor well those passions read
Which yet survive, stamped on these lifeless things,
The hand that mocked them, and the heart that fed;
And on the pedestal these words appear:
My name is Ozymandias, King of Kings,
Look on my Works ye Mighty, and despair!
Nothing beside remains. Round the decay
Of that colossal Wreck, boundless and bare
The lone and level sands stretch far away.“ —
— Quelle: http://rpo.library.utoronto.ca/poem/1904.html

Warum? – Ganz einfach: Jedesmal, wenn ich mit epigraphischen Quellen (= antiken Inschriften) arbeiten muss, denke ich unwillkürlich an dieses Gedicht und den Ausdruck der Vergänglichkeit menschlicher Gestaltungsfähigkeit, den es für mich verkörpert.

Wenn ich beispielsweise eine Grabinschrift des römischen Bürgers „–ilius“ vor mir liegen habe, die von einem verwaschenen, teilweise zerstörten bearbeiteten Steinblock stammt, kann ich nicht anders als daran zu denken, dass die Inschrift wahrscheinlich das Einzige ist, das von diesem Menschen übrig geblieben ist: Sie ist zum großen Teil zerstört. Nicht einmal sein Name blieb der Nachwelt erhalten!

Diese „romantische“ (im Sinne der Epoche) Herangehensweise ist vielleicht das Richtige für eine Literaturwissenschaftlerin, aber nicht unbedingt für eine Althistorikerin… „Mein“ Gebiet in der Geschichte beginnt also erst ab dem Mittelalter. 😉


Faun – Eden

10. Juli 2011

Am 24. Juni ist das neueste Album der Münchner Pagan Folk-Gruppe Faun erschienen. Es ist mit 72:12 Minuten das längste der Bandgeschichte und wird von einem 70-seitigen Booklet begleitet, das von diversen Künstlern gestaltet wurde und neben allen Liedtexten viele Hintergrundinformationen zu den einzelnen Liedern enthält. Thematisch geht es in allen Liedern des Konzeptalbums um den Garten Eden, den Faun von verschiedenen kulturellen, musikalischen und mythologischen Perspektiven her beleuchten.

Das Etikett „Pagan“, das Faun für ihre Musik selbst geschöpft haben, um ihre Naturverbundenheit auszudrücken, findet Oliver Pade mittlerweile problematisch, wie er der Musikzeitschrift „Sonic Seducer“ (Sonderedition Mittelalter-Musik 3, 01/2011) berichtete: „Einerseits sind wir von unserer Überzeugung sehr religiös und stehen auch dahinter, die Leute zum Nachdenken und Tiefergehen zu animieren. Andererseits wurde Pagan in den letzten Jahren auch oft als Aushängeschild für Sachen genommen, die ich nicht unbedingt vertreten kann. […] Es geht uns einfach nicht darum, möglichst viel Met zu trinken und ‚Sch*** Christen‘ zu rufen. Bei unserer letzten Akustiktour haben wir viel in Kirchen gespielt und ich muss gestehen, die besten Diskussionen, die ich seit langem geführt habe, waren mit Pfarrern. […] Mit dem Begriff Pagan werden teils eben auch Leute abgestoßen, die sehr interessant sind. Deshalb sind unsere Wurzeln und unsere Denkweise aber immer noch völlig mit der Natur verbunden.“

Tracklist: 1. Lupercalia (3:15) | 
2. Zeitgeist (4:01) | 
3. Iduna (3:19) | 
4. The Butterfly (1:33) | 
5. Adam Lay Ybounden (4:35) | 
6. Hymn to Pan (6:54)
 | 7. Pearl (5:04) | 
8. Oyneng Yar (5:31)
 | 9. Polska Från Larsson (4:35)
 | 10. Alba (7:15)
 | 11. Ynis Avalach (5:06) | 
12. Arcadia (7:14)
 | 13. The Market Song (5:50) | 
14. Golden Apples (7:34)

Mit Lupercalia haben Faun einen Text aus Ovids „Fasti“ vertont, in dem der Dichter diverse römische Feste beschreibt. (Es sind allerdings nur die Monate Januar bis Juni enthalten, da Ovid nach seiner Verbannung keinen Zugriff auf die römischen Bibliotheken und wohl auch keine Motivation mehr hatte, das Werk fertigzuschreiben.) Der Gedichtausschnitt, den Faun gewählt haben, handelt von einem Fest zu Ehren der Juno und des Faunes Lupercus (= griechisch Pan). Das Lied klingt mystisch, unterstützt durch den Chor der Mediæval Bæbes und die immer schnellere Wiederholung der Textzeilen „Ipse Deus nudus nudos iubet ire ministros“ („Der nackte Gott [Lupercus] befiehlt seinen Dienern, nackt zu gehen“).

Zeitgeist beschäftigt sich mit der Verbindung zur Natur, die vielen Menschen in unserer „modernen Zeit“ verloren gegangen zu sein scheint. Es vermittelt die Einsicht, dass wir, die Menschen, ja auch Teil der Natur sind. In einem mitreißenden Instrumentalteil setzt ein gesprochener Text auf Englisch ein: „you’re not in a fight against nature, […] there’s nothing to conquer, it’s all of you“.

Ähnlich mitreißend geht es mit Iduna weiter, das von der nordischen Göttin Iðunn („die Verjüngende“) handelt – der Göttin der ewigen Jugend und Hüterin der goldenen Äpfel, die den Göttern Unsterblichkeit verleihen. Der vertonte Textauszug entstammt dem „Hrafnagaldr Óðins“ („Odins Raben-Zauberspruch“), einem isländischen Gedicht im Stil der Lieder-Edda.

The Butterfly ist ein Arrangement des irischen Instrumentalstücks „The Butterfly Jig“. Im Booklet berichtet Oli, dass er beim Spielen des Stücks tatsächlich einmal einen schwarzen Schmetterling in seinem Zimmer entdeckt hat.

Das Instrumetalstück geht nahtlos in das mittelenglische Gedicht Adam lay ybounden über, das aus dem Sloane Manuscript 2593 (15. Jahrhundert) stammt, selbst aber wohl noch älter ist. Es steht in der Tradition der „Felix Culpa“ („Glückselige Schuld“) nach Thomas von Aquin (Summa Theologica III), der zufolge die Erlösung durch Christus erst dadurch ermöglicht wurde, dass Adam den Apfel genommen und damit die Erbsünde auf sich geladen hat. Das Lied ist eines meiner Favoriten auf der CD – nicht nur wegen des mitreißenden Folk-Rhythmus und des schönen Zusammenspiels der männlichen und weiblichen Stimmen, sondern auch – ich gebe es ja zu – wegen meines persönlichen Mittelenglisch-Faibles.

Hymn to Pan verbindet zwei Texte miteinander: eine Anrufung an den griechischen Hirtengott Pan von den beiden amerikanischen Musikern Robert N. Taylor und Nicholas Tesluk, die Faun durch B’ee von der Band „In Gowan Ring“ kennen gelernt haben, und einen Auszug aus dem Gedicht „In the Forest“ von Oscar Wilde (1854-1900). Olis Gesang ist sehr ruhig; er verschmilzt mit Fionas Hintergrundgesang und der verspielteren Melodie zu einer Einheit, die in mir das Bild eines Sommerabends nach einem heißen Tag entstehen lässt. (Überhaupt ist das Album sehr sommerlich geraten – als hätten die Faune nicht nur den Veröffentlichungstermin des Albums bewusst in den Sommer gelegt, sondern auch das derzeitige Sommerwetter bestellt.)

Mit Pearl haben Faun einen Auszug aus dem Gedicht „And Then No More“ des irischen Dichters James Clarence Mangan (1803-1849) vertont. Darin wird eine unerfüllte Liebe u.a. als „Eden’s light on Earth“ beschrieben. Das orientalisch klingende, verträumt wirkende Lied geht in einen fremdsprachigen Text über, der sich leider nicht im Booklet findet.

Oyneng Yar ist ein osmanisches Volkslied, das von Jungen und Mädchen erzählt, die in einem paradiesischen Garten gemeinsam spielen. Die Melodie ist mitreißend-stampfend; darüber liegt eine verspielte, schnelle Flötenmelodie. Erstaunlicherweise klingt „Oyneng Yar“ weniger „orientalisch“ als „Pearl“, dafür „erhabener“ und auch fröhlicher.

Darauf folgt Polska Från Larsson, eine schöne, verspielte, frühlingshafte Polka.

Das nächste Lied trägt mit Alba den Namen mittelalterlicher Tagelieder, die in den romanischen Sprachen nach der „Weiße“ des Morgengrauens (okzitanisch „Alba“) benannt wurden, in der sich die Liebenden trennen müssen. Die Melodie ist sehr ruhig bis mystisch; einen besonderen Akzent setzt das Cello des Gastmusikers Adam Hurst im Refrain „Lauf nicht davon, ich kann den Morgen sehen. Wir liefen weit, nun lassen wir den Winter ziehen.“ Das Lied ist melancholisch, doch im Gegensatz zu den „obligatorischen“ Trennungen der Tagelieder bleiben hier die Liebenden beisammen – trotz der „viel zu großen Welt“, in der sie leben.

Ynis Avalach ist nach der keltischen Anderswelt Avalon benannt, der „Insel der Äpfel“. Ähnlich wie die Äpfel der Iduna sind diese Früchte auch hier ein Symbol für Unsterblichkeit. Die Melodie des Instrumentalstücks ist eine Bearbeitung eines bretonischen Liedes; es ist flott und mitreißend und gefällt mir wegen seiner sommerlich-fröhlichen Stimmung sehr gut. Gegen Ende hin setzen die Instrumente aus, bis zuletzt nur noch die Flöte spielt und langsam verhallt.

Arcadia, das darauffolgende Lied, kombiniert wieder zwei unterschiedliche Texte: das finnische Volkslied „Metsän kuninkaalle“ und einen Auszug aus Oscar Wildes Gedicht „Pan“. Beide Texte haben gemeinsam, dass in ihnen der Herrscher der Wälder um Beistand angerufen wird: im finnischen Lied für eine erfolgreiche Jagd, in Wildes Gedicht durch den Glauben an die Beseeltheit der Natur (Animismus) angesichts einer scheinbar naturfernen modernen Welt. Der Liedtitel geht auf Arkadien zurück, eine Region im antiken Griechenland, deren Bewohner größtenteils als Hirtenvolk lebten und die zu einer Idylle verklärt wurde, in der die Menschen im Einklang mit der Natur lebten. Das Lied ist mitreißend und gefällt mir auch deshalb sehr gut, da ich sowieso eine Schwäche für die finnische Sprache habe.

The Market Song kombiniert eigene Texte Fauns mit dem englischen Volkslied „Copshawholme Fair“ über den Markt in Copshawholme (Cumberland / Nordengland). Es klingt in der Instrumentierung von Faun verträumter und ist filigraner instrumentiert als „unbearbeitete“ englische Volkslieder. Faun möchten das Lied den Veranstaltern und Helfern widmen, die ihre Auftritte bei den diversen Konzerten und Festivals möglich gemacht haben.

Einen würdigen Abschluss findet das Album schließlich in Golden Apples, das mit Vogelgezwitscher beginnt und dann in ein ruhig-verträumtes nordenglisches Wiegenlied übergeht. Schließlich spricht Mark Lewis einige Verse des persischen Mystikers Rumi, die ausdrücken, dass wir das Paradies nicht in der Ferne, sondern in uns selbst suchen sollten.

Faun - von links nach rechts: Rüdiger Maul, Fiona Rüggeberg, Oliver Pade (s. Tyr), Margareta (Rairda) Eibl, Niel Mitra

„Eden“ ist für mich das bisher beste Album von Faun – es schlägt sogar meinen langjährigen Favoriten „Licht“ (2003) mit meinem altisländischen Lieblingslied „Egil Saga“. Selten waren die faunischen Lieder so mystisch-verträumt, so filigran instrumentiert und dabei gleichzeitig so mitreißend wie auf dieser CD. Darüber hinaus wird mit den Liedtexten und vielen Hintergrundinformationen in dem 70 Seiten starken, kunstvoll gestalteten Booklet wieder eine Menge Fanservice geboten. Ein kleiner Wermutstropfen ist, dass im Gegensatz zum „Buch der Balladen“ diesmal keine Noten enthalten sind. Auch die Papphülle, in der sich die CD befindet, ist wegen der Gefahr des Zerkratzens, die von ihr ausgeht, nicht ganz ideal. Angesichts der wunderschönen, sommerlichen Musik und des schönen Booklets verblassen aber auch diese beiden kleinen Kritikpunkte.

Endlich einmal wieder ein Album, in das ich mich auf Anhieb verliebt habe!


Desktophintergrund: Genfer See

22. September 2010

Gerade haben es mir Bilder des Genfer Sees angetan. Gewässer symbolisieren für mich Freiheit, Berge haben für mich etwas Einengendes (auch wenn man ein Gebirge als undurchdringlichen Rückzugsraum und deshalb ebenso als Symbol für Freiheit interpretieren könnte). Ein See mitten in einem Gebirge drückt deshalb für mich ein besonders reizvolles Spannungsverhältnis aus. Deshalb verwende ich gerade zwei Bilder des Genfer Sees als Desktophintergrund.

Das folgende Bild benutze ich für meinen Mac:

Hier könnt ihr es euch „in groß“ anschauen: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Lac_Léman.jpg (und wenn ihr dann noch mal auf das Bild klickt, bekommt ihr die Anzeige in voller Größe – 2048 × 1536 px).

Für mein Netbook verwende ich dieses Bild:

Die volle Auflösung gibt es hier zu sehen: http://de.academic.ru/pictures/dewiki/71/Genfersee_bei_montreux_2004_pischdi.JPG (2240 x 1680 px).

Welches Bild verwendet ihr gerade als Desktophintergrund? Habt ihr auch bestimmte „Themen“ wie Wasser, Berge, Bäume etc., die euch besonders gefallen? Oder verwendet ihr als Desktophintergründe Kunst, Wallpapers von Bands etc.?


Rezension bei „Sternenzeit“: Online-Schreibset „Black Pen“

11. September 2010

Heute wurde auf dem Blog meiner Freundin Yve, „Sternenzeit“, ein von mir geschriebenes Review über das Schreibset „Black Pen“ (Füller und Kugelschreiber) von Online veröffentlicht.
Ein kleiner Auszug daraus:

Online Schreibset „Black Pen“ (Füller und Kugelschreiber)

[…]

Feder- und Minenstärke sind M; es handelt sich also um zwei Standardmodelle. Wahlweise passen eine große oder zwei kleine Online-Tintenpatronen in den Füller. Da die Verschlusskappe des Füllers sehr leicht ist, kann man sie beim Schreiben bequem an dessen hinteres Ende stecken. So kann sie beim Schreiben nicht vom Tisch heruntergestoßen werden.

Wie erwähnt, habe ich die ursprüngliche Feder durch eine Linkshänderfeder ausgetauscht. Federn für Linkshänder schreiben bei Online allgemein etwas breiter als Rechtshänderfedern, was ich persönlich sehr angenehm finde. Die Feder schreibt weich und die Tinte verschmiert nicht, wenn ich beim Weiterschreiben mit meinem Handgelenk über das Geschriebene wische.

Beim Schreiben drücke ich stark auf, weshalb ich Kugelschreiber normalerweise sehr ungern benutze, da sie nicht in der Art und Weise nachgeben wie eine Feder. Hier ist das aber auch nicht nötig: Der Kugelschreiber schreibt weich wie Butter – selbst dann, wenn ich ihn auf einer harten Unterlage benutze! Auch bei längeren Schreibeinsätzen bleiben meine Gelenke geschont. Ich besitze ihn nun schon seit einigen Monaten, und er schreibt nach wie vor absolut klecksfrei.

[…]

Die ganze Rezension könnt ihr hier *klick* nachlesen.

Schaut doch mal auf „Sternenzeit“ vorbei!
Yve berichtet über getestete Schreibgeräte, über die Jugendbücher, die sie schreibt, und aus ihrem Alltag. Außerdem hat sie auf ihrem Blog vor Kurzem eine Online-Fortsetzungsgeschichte mit dem Titel „Zwischen den Grenzen“ begonnen.


„Untergegangene Welt“: Fin de Siècle

28. August 2010

Einige Historiker haben die Angewohnheit, in ihren (in der Regel älteren) Werken von der Vergangenheit als „untergegangener Welt“ zu sprechen oder zumindest einen ähnlichen Begriff zu verwenden. Mir scheint so eine Bezeichnung meist zu pathetisch: Die Welt ist ja nicht untergegangen. Sie hat sich – aus unserer rückblickenden Perspektive – verändert; manchmal sehr stark, manchmal weniger stark.

Einer der Fälle, in denen auch ich einen so pathetischen Begriff verwende wie den einer „untergegangenen Welt“ ist die Epoche des „Fin de Siècle“: die Zeit gegen Ende des „langen 19. Jahrhunderts“, um die Jahrhundertwende und vor dem Ersten Weltkrieg. Mit Fortschritten in der Wissenschaft, der zunehmenden Technisierung und der Entstehung der modernen Massengesellschaft gingen einerseits Fortschrittsoptimismus und positive Zukunftserwartungen einher, andererseits aber auch Unsicherheit, Zukunftsangst und Endzeitstimmung.

Künstler – bildende, insbesondere aber auch Literaten – hatten das Bewusstsein davon, dass mit dem Ende des 19. Jahrhunderts eine Epoche unwiderruflich zu Ende ging.  Eine Vielzahl von Kunstströmungen wandte sich gegen den Naturalismus und hin zu einer Überfeinerung der Sinne, zu Subjektivismus und Ästhetizismus. Diese Strömungen werden oft unter dem Begriff der „Décadence“ (frz. décadence = Verfall) zusammengefasst, da diese Überfeinerung der Sinne als Anzeichen eines kulturellen Verfalls gedeutet (und u.a. von Friedrich Nietzsche heftig kritisiert) wurde. Um es – wie so viele vor mir – etwas pathetisch zu formulieren: dies war eine „Welt im Bewusstsein ihres eigenen Untergangs“.

Zu den Künstlern der „Décadence“ bzw. des „Fin de Siècle“ zählen so unterschiedliche Menschen wie Paul Gauguin (Malerei, Postimpressionismus), Claude Debussy (Musik, Impressionismus) oder Rainer Maria Rilke (Literatur, Symbolismus).
Die gehäufte Verwendung von -ismen in diesem Beitrag soll allerdings nicht über die Individualität der Werke der genannten Künstler hinwegtäuschen.

Und warum nun dieser Beitrag?
Weil ich schon seit Langem etwas über „The Picture of Dorian Gray“ von Oscar Wilde schreiben möchte, der ebenfalls zu den Künstlern des „Fin de Siècle“ gehört – und dessen eigenes Leben und gesellschaftlicher Fall vielleicht so etwas wie ein Spiegelbild dieser „Zeit im Bewusstsein ihres eigenen Untergangs“ sind.