Nicht geirrt

8. November 2015

Er sei „oft zu forsch“ gewesen, „weil ich oft unsicher war“, schreibt Westerwelle und hadert mit seinem Image: „Weder bin ich ein sturer Rechthaber noch ein unsensibler Eisklotz. Ich stand mir manchmal einfach nur selbst im Weg.“
http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/menschen/guido-westerwelle-schreiben-um-ein-mensch-zu-bleiben-13899549-p2.html

Hab ich’s doch immer gewusst. Und ihn genau dafür gemocht (obwohl ich ihn natürlich auch kritisiert habe, z.B. für das „Guidomobil“ und vor allem seit 2009 für den unbedingten und von mir immer für falsch gehaltenen Wunsch, um jeden Preis zu „liefern“, sprich: dafür zu sorgen, dass die FDP nach Jahren der Opposition wieder an der Regierung beteiligt ist, trotz des Finanzierungsvorbehalts im Koalitionsvertrag).

Nicht zuletzt fand ich ihn im Gegensatz zu … fast jedem immer menschlich sympathisch, weil ich in ihm etwas von mir selbst wiedererkannt habe: Den Fehler, zu forsch zu sein, um Unsicherheit zu überspielen, habe ich auch schon öfter gemacht – selbst dann noch, als ich ihn längst als Fehler erkannt hatte, und ich halte mich auch nicht für davor gefeit, ihn trotz alledem vielleicht wieder zu machen. Im Übrigen halte ich es auch nicht für ehrenrührig, das zuzugeben, sondern glaube, dass es ganz hilfreich sein kann, das als „Gebrauchsanweisung“ für Menschen mitzuliefern, um nicht wie er als „eiskalt“ fehletikettiert zu werden – was mir, glaube ich, auch schon passiert ist, auch wenn es mir nicht explizit so gesagt wurde.

Ich denke, das ist mal eine der seltenen Biographien von Menschen, die noch nicht seit mindestens einem Jahrhundert tot sind, die ich lesen werde. (Die letzte Biographie, die ich mir gekauft habe, war die neue von Georg Büchner aus dem Jahr 2013.)


Die Sachsen-AfD, Preußen und der Föderalismus

6. September 2014

Normalerweise gehöre ich nicht zu denjenigen FDP-Anhängern, die glauben, sie müssten der AfD irgendeine besondere Beachtung schenken. Die AfD vertritt zwar zum Teil wirtschaftspolitische Positionen, die auch die FDP für richtig hält, aber was gesellschaftliche Positionen betrifft, liegen doch Welten zwischen den Rechtskonservativen und den Liberalen. Aber genau darum – weil ich gesellschaftspolitisch liberal denke (und weil ich Geschichte studiere) – ist mir gestern so der Hut hochgegangen, als Christian Ehring in der heute-show diesen Auszug aus dem sächsischen AfD-Wahlprogramm vorgelesen hat:

„Schul- und insbesondere Geschichtsunterricht soll nicht nur ein vertieftes Verständnis für das historische Gewordensein der eigenen Nationalidentität, sondern auch ein positives Identitätsgefühl vermitteln. Wir wollen einen deutlichen Schwerpunkt auf das 19. Jahrhundert und die Befreiungskriege gesetzt wissen. Die Grundlagen unseres Staates wurden in den Jahren 1813, 1848 und 1871 gelegt.“
– AfD-Wahlprogramm Sachsen, Forderung IV.3.1. Aufwertung und Umgewichtung des Geschichtsunterrichts

Warum ist das gesellschaftspolitisch fragwürdig?

Weil die AfD mit dieser Forderung letztlich dazu beitragen will, das nationalistische Geschichtsbild des Deutschen Kaiserreichs (1871-1918) fortzuschreiben. Danach sei das Heilige Römische Reich, das 1806 aufgelöst wurde, im Grunde schon nach dem Ende des Dreißigjährigen Kriegs (Westfälischer Frieden 1648) dem Untergang geweiht gewesen. Erst durch den Aufstieg Brandenburg-Preußens im späten 17. und 18. Jahrhundert (Friedrich Wilhelm I., Friedrich II.) und die preußischen Reichseinheitsbestrebungen des 19. Jahrhunderts hätten die deutschen Lande wieder eine Zukunftsperspektive erhalten: den expansiven preußischen Militärstaat.

Dabei wird dieses preußisch geprägte Geschichtsverständnis des 19. und frühen 20. Jahrhunderts von der deutschen Geschichtsforschung schon seit den 1950er und 1960er Jahren nicht mehr geteilt. Stattdessen wird betont, dass das Heilige Römische Reich keineswegs schon nach 1648 nicht mehr funktionierte. Erst im Verlauf des 18. Jahrhunderts wurden die Reichsinstitutionen zunehmend lahmgelegt – und zwar nicht zuletzt durch die Blockadepolitik Brandenburg-Preußens im Reichstag: Streitfragen wurden von Brandenburg-Preußen seit Regierungsantritt Friedrichs II. von Preußen (1740) zunehmend zu Religionsfragen erklärt. Seit dem Westfälischen Frieden wurden diese getrennt von einem katholischen Gremium (Corpus Catholicorum, mit den Habsburgern) und einem evangelischen Gremium (Corpus Evangelicorum, mit Brandenburg-Preußen) beraten. Ein Beschluss kam bei dieser sogenannten itio in partes nur zustande, wenn sich die beiden Corpora einigten – was selten geschah. Fazit: Der Reichstag war faktisch ausmanövriert.

Warum das Ganze? Weil die größten Stände des Heiligen Römischen Reichs – allen voran Brandenburg-Preußen, aber auch das Haus Habsburg – sich zunehmend aus dem Reichsverband lösen wollten. Im Gegensatz zu den kleineren Reichsständen waren sie auf den Schutz durch das Reich nicht angewiesen und trachteten immer mehr danach, ihre eigene Landesherrschaft auszubauen und selbst möglichst stark zu werden.

Und nun muss man sich einfach ganz grundlegend die Frage stellen, ob man wollen kann, dass Kinder in der Schule lernen, der militaristische preußische Staat sei sozusagen das Vorbild für das heutige Deutschland gewesen. Ich möchte das nicht; es erzieht im Grunde zum Nationalismus und ist für Nicht-„Preußen“ eigentlich auch wenig ansprechend. Das kann doch politisch von keiner demokratischen Partei gewollt sein!

Vielleicht könnte stattdessen das Heilige Römische Reich mit seiner quasi-föderalen Struktur (Reichsstände, Reichskreise als Verteidigungsstruktur, Reichstag für untereinander abgestimmte Politik) stärker in den Mittelpunkt rücken. Dann würde auch die heutige föderale Struktur mit Bund und Ländern nicht als etwas Defizitäres erscheinen, als das ihn das preußische Geschichtsbild letztlich darstellt. Stattdessen würde sich zeigen, dass der heutige deutsche Föderalismus etwas in Mittelalter und Früher Neuzeit historisch Gewachsenes ist, das sich über alle Krisen und Kriege hinweg doch als erstaunlich funktionsfähig und langlebig erwiesen hat. Und vielleicht wäre das auch ein Vorbild für die EU: Wie wär’s mit einem EU-Parlament, das eine EU-Regierung wählt, und einer Länderkammer mit den Regierungen der einzelnen Staaten? Mit klar geregelten Zuständigkeiten? (O.k., dass die AfD das vielleicht nicht unbedingt möchte, kann ich mir denken. 😀 Ich fänd’s dagegen gut. Jedenfalls viel besser, als wenn die EU-Kommission von den Staatschefs bestimmt wird und das EU-Parlament im Grunde nur noch „abnicken“ darf. Denn das sehe ich als Demokratiedefizit.)

Als Einstiegsliteratur zu dem, was ich gerade geschrieben habe, möchte ich Franz Brendle, Das konfessionelle Zeitalter, Berlin 2010 (hier v.a. S. 57), und Albert Funk, Föderalismus in Deutschland, Bonn 2010, nennen. (Obwohl Funk die religiöse Dimension z.B. des Dreißigjährigen Kriegs mitunter unterschätzt. Wie bei Brendle nachzulesen ist, war dieser nicht nur ein verfassungspolitischer, sondern eben auch ein religiöser Konflikt.)


Büchners „Dantons Tod“ in den Münchner Kammerspielen – Teil 2

1. Januar 2014

Das „Büchnerjahr“ 2013 durfte nicht zu Ende gehen, ohne von mir bei einem Theaterbesuch zelebriert zu werden. Georg Büchners (1813-1837) „Dantons Tod“ (1835) habe ich am 29. Dezember 2013 in einer Bearbeitung von Matthias Günther und Tobias Staab in den Münchner Kammerspielen gesehen. Nachdem ich meine eigene Interpretation des Dramas vorausgeschickt habe (Teil 1), möchte ich nun meine Eindrücke von der Inszenierung wiedergeben (Teil 2).

Die beiden Dramaturgen Günther und Staab haben dem ohnehin schon mehrschichtigen Dramentext, in den Büchner Quellen aus der Zeit der Französischen Revolution einmontiert hat, noch weitere Textlagen hinzugefügt. So weist schon der eingangs von einem der Präsidenten des Revolutionstribunals, Herman (Hans Kremer), gesprochene Text darauf hin, in welchem Sinne man das Stück interpretiert wissen möchte: als Drama über die conditio humana, über die Bedingungen des Menschseins und die „Natur“ bzw. das „Wesen“ des Menschen. Diese Perspektive zieht sich durch praktisch alle hinzumontierten Textpassagen und findet ihren Kulminations- und Schlusspunkt darin, dass Robespierre (Wolfgang Pregler) als seine „Letzte[n] Worte“ auf der Bühne den Schluss des Romans „Elementarteilchen“ (Les particules élémentaires, 1998) des französischen Schriftstellers Michel Houellebecq zitiert, das mit dem pathetischen Satz endet: „Dieses Buch ist dem Menschen gewidmet“ (S. 357). Ein Satz, den man angesichts der Handlung sowohl des Dramas als auch des Romans (der, kurz gesagt, die Selbstabschaffung des Menschen durch die Gentechnik zum Thema hat) wohl nur ironisch verstehen kann. Allerdings als doppelte Ironie, die sich selbst auflöst: Michel Houellebecqs doppelbödige Erzählweise entlarvt durch innere Widersprüche die menschenverachtende Ideologie seines personalen Erzählers Michel, der das Glück der Menschheit im Ende seiner natürlichen Reproduktion sieht, und liefert damit letztlich doch ein echtes Plädoyer für den (nicht gentechnisch veränderten) Menschen. Ebenso selbstentlarvend menschenverachtend ist für die Dramaturgen das Gerede Robespierres (z.B. „Die Revolutionsregierung ist der Despotismus der Freiheit gegen die Tyrannei“, I,3)  und St. Justs (v.a. seine Rechtfertigung des terreur in II,7: „Die Schritte der Menschheit sind langsam, man kann sie nur nach Jahrhunderten zählen; hinter jedem erheben sich die Gräber von Generationen. Das Gelangen zu den einfachsten Erfindungen und Grundsätzen hat Millionen das Leben gekostet, die auf dem Wege starben. Ist es denn nicht einfach, daß zu einer Zeit, wo der Gang der Geschichte rascher ist, auch mehr Menschen außer Atem kommen?“). Auch ex negativo und mittels einer intertextuellen Analogie lässt sich Büchners Drama also als Plädoyer für Menschlichkeit deuten. Bestätigt wird diese Interpretation durch den ausdrücklichen Überdruss der gemäßigten Jakobiner am Töten, etwa durch Héraults Reden gegenüber seinen Freunden („Die Revolution muß aufhören, und die Republik muß anfangen“, etc., I,1 – bei den Münchner Kammerspielen, wenn ich mich recht erinnere, Lacroix zugewiesen, da Hérault gestrichen wurde). Ob dieses Additum wirklich nötig gewesen wäre? Ob es außerdem nötig gewesen wäre, dass sich Robespierre nackt auszieht, während er spricht – der Mensch in seiner physischen Verletzlichkeit – und den Theaterbesucher so noch mit der Nase auf diese Deutung stößt?

Die Nacktheit des kleinbürgerlichen Tyrannen auf der Bühne erinnerte mich an Bert Brechts „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“ (1941) in der aktuellen Inszenierung des Berliner Ensembles, in der sich Arturo Ui a.k.a. Adolf Hitler auch einmal nackt auf der Bühne befindet. Ebenso intonierte Pregler Robespierres Monolog nach der Konfrontation mit Danton (Pierre Bokma) in I,6 im Stil einer grotesk-komischen Hitlerrede bzw. einer Rede Arturo Uis – ein weiterer intertextueller Bezug. Überhaupt scheint sich die Inszenierung stark an Brechts epischem Theater zu orientieren, als dessen Vorläufer vor allem Büchners „Woyzeck“ gilt: Die fiktionale Realität auf der Bühne wird schon von Anfang an durchbrochen. Kein Vorhang wird betätigt, nie erfolgt ein Szenenwechsel durch Veränderung des Bühnenbilds, es gibt kaum Auf- und Abtritte. Die Dantonisten sprechen oft in Anwesenheit der Robespierristen und umgekehrt. Das Bühnenbild selbst ist stilvoll: eine mit Kerzen geschmückte lange Tafel, an deren Ende ein Streicher-Ensemble sitzt, das während der gesamten Aufführung für Live-Musik sorgt (komponiert von Carl Oesterhelt).  Abwechslung erzeugen die Leinwände an der hinteren Bühnenwand, auf die zum einen szenenweise Schwarzweißbilder einer Kamera projiziert werden, die auf einem sich drehenden Tisch in der Mitte der Tafel liegt. Zum anderen werden so Stimmungen oder Vorstellungswelten der Charaktere ausgedrückt, z.B. Sommer oder Winter oder auch Dantons Frau Julie (Anna Drexler), die sich angesichts der Verhaftung und bevorstehenden Exekution Dantons auf eine blühende Sommerwiese fortträumt. Verfremdungseffekte entstehen auch, wenn einzelne Passagen erst im französischen Original und dann auf Deutsch gesprochen werden oder wenn der Bürger Simon (Benny Claessens) zuweilen statt gesprochener Passagen linksradikale Lieder singt („Totgeschlagen, wer kein Loch im Rock hat!“, I,2). Herman erhält eine Doppelfunktion als Revolutionsrichter und fast schon allwissender Erzähler, der historische Erläuterungen zur Revolution und den Septembermorden liefert und in der eigentlich monologischen Flucht-Szene (II,4) als Freud-Verschnitt einen fast schon psychoanalytischen Dialog mit Danton führt, der keine Lust zu fliehen hat. St. Just wird von einer Schauspielerin gespielt (Annette Paulmann) – so weit, so gut, wird doch auch der „echte“ Saint-Just von Zeitgenossen als attraktiver, androgyn wirkender junger Mann beschrieben. Allerdings kann man Annette Paulmann in Kleid und Highheels nun wirklich nicht als androgyn bezeichnen; im Gegenteil erscheint sie so als Verkörperung der Marianne, wie in Delacroix’ berühmten Gemälde „Die Freiheit führt das Volk“ (La Liberté guidant le peuple, 1830). Grotesk  wird es allerdings, wenn St Justs große Hetzrede (II,7) zum Gespräch mit Lucile (Marie Jung) wird, die ihm gegenübersitzt, und bruchlos in Olympe de Gouges’ „Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin“ (Déclaration des droits de la femme et de la citoyenne, 1791) übergleitet und vor allem aus der Vorrede, aber auch aus den Artikeln zitiert: „Die Frau hat das Recht das Schafott zu besteigen; sie muss gleichermaßen das Recht haben, die [Redner-]Tribüne zu besteigen“ (Art. 10). Von derlei politischen und nach Auffassung vieler Zeitgenossen „unweiblichen“ Vorstellungen hielt auch Saint-Just nichts – ganz zu schweigen davon, dass Olympe de Gouges den gemäßigten Girondisten nahestand. Schade fand ich, dass die „volksverhetzende“ Dimension der Rede dadurch abgemildert wurde (falls die Intention gewesen sein sollte, auf die Radikalität auch der Forderungen der Olympe de Gouges in ihrer Zeit hinzuweisen, kam das bei mir jedenfalls nicht an). Auch Dantons Nihilismus und sein Wunsch, durch Selbstauslöschung Ruhe zu finden, wirkten in dieser Inszenierung merklich gedämpft. Dies lag zum einen wohl daran, dass die Figur des Philippeau als gläubiger Gegenpol zum Atheisten Danton gestrichen worden war und passte zum anderen wohl nicht recht in die Interpretation Günthers und Staabs, die das Drama durch hinzugefügte Texte bis zu einem Bericht von der Ermordung Robespierres weiterführten, statt es mit der Hinrichtung der gemäßigten Jakobiner und Luciles selbstmörderischem „Es lebe der König! (IV,9)“ enden zu lassen. (Übrigens glaube ich entgegen Camilles Deutung in IV,5 nicht, dass es wirklich der Wahnsinn ist, der aus Lucile spricht, sondern eher der tragische Wunsch, ohne ihren Liebsten Camille nicht leben zu können und zu wollen. Im Gegensatz zu Dantons Frau Julie, die eigentlich Louise hieß und eine Freundin seiner im Kindbett gestorbenen ersten Frau Antoinette war, folgte sie ihrem Mann ja wirklich in den Tod, und das auf ähnliche Weise wie im Drama dargestellt.)

Auch wenn mich die conditio humana-Deutung von „Dantons Tod“ nicht ganz überzeugt – es ist schließlich kein auf Allgemeingültigkeit angelegtes Ideendrama, sondern eine Studie der Französischen Revolution und ihrer Protagonisten einerseits und eine Darstellung persönlicher philosophischer Ansichten Büchners andererseits –, halte ich sie doch insgesamt für plausibel. Wirklich schief fand ich nur zwei Szenen: die schon erwähnte Rede von St. Just-Olympe und Dantons Verteidigungsrede vor dem Revolutionstribunal (III,9), die Pierre Bokma doch tatsächlich weinerlich vortrug. Jemand, der sich die eigene Selbstauslöschung wünscht (auch wenn er sie für letztlich nicht erreichbar hält), hält eine solche Rede doch nicht schluchzend! „[D]as Leben ist mir zur Last, man mag mir es entreißen, ich sehne mich danach, es abzuschütteln“, sagt er in seiner ersten Anhörung (III,4)! Abgesehen davon hat mich Bokma als Danton aber wirklich überzeugt; die vielbeschriebene Vitalität des Revolutionärs brachte er gut zum Ausdruck. (Die innere Erstarrung – Stichwort Nihilismus – im Gegensatz zur äußeren Lebhaftigkeit nicht ganz so gut, aber das lag eindeutig an der Inszenierung; seine Interpretation von III,9 mit Sicherheit auch.) Die Theaterbesucher schienen vor allem die Bühnenkonstruktion und die hinzugefügten Szenen zu irritieren; schlussendlich bekamen Pierre Bokma als Danton und Wolfgang Pregler als Robespierre zwar – verdient! – den meisten Applaus, die Musiker insgesamt aber mehr Beifall als die Schauspieler.

Insgesamt ist die Inszenierung sehens- und durchdenkenswert. Wer kann und möchte, kann sie noch am 5. Januar 2014 um 19 Uhr oder 10. Februar 2014 um 19.30 Uhr in den Münchner Kammerspielen sehen; weitere Termine sind bislang nicht angegeben.


Büchners „Dantons Tod“ in den Münchner Kammerspielen – Teil 1

1. Januar 2014

Das „Büchnerjahr“ 2013 mit dem 200. Geburtstag des Dichters durfte nicht zu Ende gehen, ohne von mir bei einem Theaterbesuch zelebriert zu werden. Georg Büchners (1813-1837) „Dantons Tod“ (1835) habe ich am 29. Dezember 2013 in einer Bearbeitung von Matthias Günther und Tobias Staab in den Münchner Kammerspielen gesehen. Bevor ich meine Eindrücke von der Inszenierung wiedergebe (Teil 2), möchte ich meine eigene Interpretation des Dramas vorausschicken (Teil 1), das neben Goethes „Faust I“ mein Lieblingsdrama ist. Zitiert wird nach der Szenenaufteilung von „Dantons Tod“ bei „Projekt Gutenberg“.

Wesentlich ist aus meiner Sicht die Darstellung Dantons als eines Menschen, der an den Unmenschlichkeiten der Revolution verzweifelt, die für das Volk keine Besserung seiner Lage mit sich gebracht haben. Er kann nicht mehr an die Willensfreiheit und die Wirksamkeit menschlichen Handelns glauben; stattdessen betrachtet er den Gang der Geschichte als unberechenbar (Fatalismus): „Puppen sind wir, von unbekannten Gewalten am Draht gezogen; nichts, nichts wir selbst!“ (II, 5). Handeln erscheint ihm vom Einzelnen nicht steuerbar; er stürzt in Lethargie und Langeweile, die er durch „Genuss“ nach dem Motto „Wein, Weib und Gesang“ betäubt – was nicht zuletzt zu seiner Gefangennahme und Hinrichtung beiträgt. Bezeichnend der Wortwechsel zwischen Lacroix und Danton in der ersten Szene (I,1), der als epische Vorausdeutung das Ende schon vorwegnimmt: „Wir müssen handeln.“ – „Das wird sich finden.“ – „Es wird sich finden, wenn wir verloren sind.“
Dantons fatalistisches Geschichtsverständnis führt allerdings nicht dazu, dass er die Verantwortung Einzelner für bestimmte Ereignisse ganz negiert. Im Gegenteil fühlt er sich persönlich an den „Septembermorden“ von 1792 schuldig, die er als damaliger Justizminister mit befördert hat. Diese Schuld quält ihn ebenso wie das Bewusstsein, dass die Revolution nichts für die einfache Bevölkerung erreichen konnte.

Robespierre, der ihm wegen seiner Genusssucht sittliche Verfehlungen vorwirft, hält Danton den sprichwörtlichen Spiegel vor und entlarvt dessen Tugendhaftigkeit als Selbstgerechtigkeit: „Ich würde mich schämen, dreißig Jahre lang mit der nämlichen Moralphysiognomie zwischen Himmel und Erde herumzulaufen, bloß um des elenden Vergnügens willen, andre schlechter zu finden als mich. – Ist denn nichts in dir, was dir nicht manchmal ganz leise, heimlich sagte: du lügst, du lügst!?“ (I,6) Tatsächlich stürzt er den „Unbestechlichen“ damit in Selbstzweifel, doch aus dieser Handlungslosigkeit entreißt ihn sein Scharfmacher St. Just sogleich wieder, um den Tod der Dantonisten zu beschließen.

Danton ist seines Lebens überdrüssig; er sehnt sich nach Selbstauslöschung und damit auch der Auslöschung seiner Seelenqual, möchte endlich Ruhe im Nichts finden. Doch auch der Nihilismus bietet ihm letztlich keine Zuflucht: „Der verfluchte Satz: Etwas kann nicht zu nichts werden! Und ich bin etwas, das ist der Jammer!“ (III,7). Sogar die Selbstauslöschung erscheint also als Ding der Unmöglichkeit. Danton will nicht mehr leben, doch auch im Tod ist für ihn keine Hoffnung auf Erlösung – religiöse ohnehin nicht, aber eben auch keine philosophische.
Oder vielleicht doch? Dantons letzte Worte, bevor er von der Conciergerie auf den Revolutionsplatz zur Hinrichtung geführt werden, lauten: „Die Welt ist das Chaos. Das Nichts ist der zu gebärende Weltgott.“ (IV,5) Die vage Hoffnung, dass das ersehnte Nichts irgendwann entstehen könnte (wie die Welt nach Hesiods Theogonie (Θεογονία), auf die Büchner hier wohl anspielt, oder Gen 1,1 irgendwann aus dem Chaos entstanden ist, möchte man hinzufügen), hat er also nicht ganz aufgegeben. Aber nach Hesiods „Werke und Tage“ (Ἔργα καὶ Ἡμέραι) blieb ja auch in der Büchse der Pandora am Ende nur die trügerische(!) Hoffnung zurück…
Dantons Philosophie ist kein geschlossenes System; sie wandelt sich im Verlauf des Stücks.

Dass sich Danton am Ende vor dem Revolutionstribunal doch gegen seine Ankläger verteidigt (III,9 und 10), ist wohl mehr dem Wunsch geschuldet, es den radikalen Jakobinern um Robespierre nicht gar zu leicht zu machen und die eigene Haut nicht gar so billig zu verkaufen, als ein ernsthafter Versuch, sie zu retten. Es gelingt ohnehin nicht; die Volksmasse ist zu wankelmütig und unberechenbar, als dass sie sich von Dantons Argumenten dauerhaft gewinnen ließe. Aber ist auch hier nicht eine leise Hoffnung? Die Hoffnung nämlich, dass der Tod der gemäßigten Jakobiner um Danton bereits den Sturz Robespierres vorwegnimmt – und damit letztlich doch das Ende des Terreur und seines sinnlosen Mordens bringt. „Ihr tötet uns an dem Tage, wo ihr den Verstand verloren habt; ihr werdet sie an dem töten, wo ihr ihn wiederbekommt“ (IV,7) – so spricht allerdings nicht Danton, sondern Lacroix, der ja weiter an der Bedeutsamkeit menschlichen Handelns festhält. Gut möglich, dass Danton seine flammende Verteidigungsrede nur aus Verbundenheit mit seinen Freunden hält, die mit ihm todgeweiht sind, weil er nicht handelte, als vielleicht noch Zeit gewesen wäre. Lacroix’ Worte sind und bleiben aber eine Vorausdeutung – keine intrafiktionale, sondern eine auf den weiteren Verlauf der Geschichte. Sie lassen zumindest diese Überlegung zu: Wenn Dantons philosophische Reflexionen über das Nichts und die Geschichte Büchners persönliche Überzeugungen wiedergeben (was man wohl annehmen darf, da Büchner entsprechende Überlegungen in Briefen äußert), dann ist Dantons/Büchners Geschichtsfatalismus vielleicht ebenso brüchig wie Dantons/Büchners Nihilismus. Ein geradezu postmodernes Denken, dieses Vielleicht-doch, das das Vorhandensein absolut gesetzter Überzeugungen/Ideologien negiert, ohne letztlich eine Lösung anbieten zu können. Ja, auch Büchners eigenes Handeln als Revolutionär in der Vormärzzeit, insbesondere seine Flugschrift „Der Hessische Landbote“ (1834), blieb letztlich ohne die erhoffte Wirkung. Aber … vielleicht doch?

Kurzum: Für mich sind zum einen die philosophische Dimension des Dramas (Geschichtsfatalismus und Nihilismus wie auch das Ungenügen an ihnen) und zum anderen die (entsprechend der Quellen, die Büchner zur Verfügung standen) möglichst realistische Darstellung der Revolutionszeit die beiden wesentlichen Interpretationszugänge zum Drama. Zu letzterem Punkt, auf den ich hier nur oberflächlich eingegangen bin, zählen sowohl die Darstellung der prekären Situation des Volkes und der Eigendynamik von Volksmassen als auch die zahlreichen wörtlich eingewobenen Quellenpassagen insbesondere in Bezug auf politische Äußerungen. Die wörtlichen Zitate sind, ebenso wie die vielen klassizistischen Anspielungen der Revolutionäre auf die Antike, für die intertextuelle Mehrschichtigkeit des Dramas wichtig; ich will aber nicht verhehlen, dass mich die philosophische Seite mehr interessiert, ich ihr deshalb auch mehr Raum gegeben habe.


Bundestagswahl 2013 – Zur FDP

22. September 2013

So. Ich hatte mir zuerst überlegt, das nun Folgende auf Facebook zu posten, was ich vielleicht auch noch in komprimierter Form tun werde, aber ich muss jetzt einfach mal was loswerden, und das wird für Facebook, glaube ich, zu lang und zu unstrukturiert. Ich bin ja jemand, der lieber fünfmal darüber nachdenkt, was er so in die Welt hinausposaunt; vielleicht blogge ich auch deshalb so selten. Aber das muss jetzt mal sein, und ich werde auch nichts von dem Folgenden zurücknehmen müssen, weil es aus tiefster Seele kommt.

Wie ich schon an anderer Stelle geschrieben habe, bin ich überzeugte Liberale. Und ja, ich habe bisher immer mit beiden Stimmen FDP gewählt; auch diesmal. (Wenn auch nicht heute, da per Briefwahl. – Eine Ausnahme sind die Kommunalwahlen, bei denen ich auch Kandidaten anderer Parteien wähle, wenn ich deren Arbeit schätze.) Ich kann mich natürlich irren – und ich hoffe das Gegenteil! -, aber ich gehe nicht davon aus, dass es die FDP noch in den Bundestag schaffen wird.

Meine Wünsche an die FDP sind:
1. Endlich ein ausgewogenes Verhältnis zwischen politischer Freiheit (d.h. Menschen- und Bürgerrechten) einerseits und wirtschaftlicher Freiheit andererseits.
2. Keine Zweitstimmenkampagnen mehr! Never ever again!

Zu 1) Ich bin linksliberal und würde mich auch so bezeichnen. Das bedeutet aber nicht, dass ich möchte, dass die FDP eine linksliberale Partei wird. Ich möchte, dass die FDP wieder eine Partei wird, für die Menschen- & Bürgerrechte und Wirtschaft genau gleich wichtig sind und die auch beide Themen gleichrangig behandelt. Die überzeugend vermitteln kann, dass wirtschaftliche und politische Freiheit zwei Seiten einer Medaille sind, wie es übrigens auch Guido Westerwelle in seiner Zeit als FDP-Vorsitzender immer in Parteitagsreden betont hat – und der ist nun wirklich niemand, der im Ruch des Linksliberalen steht. Im Moment ist das nicht der Fall. Die einzige wirklich prominente „Bürgerrechtsliberale“ ist Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Die FDP fokussiert auf die Wirtschaftspolitik und vergisst, dass man nur über dieses Thema niemanden für die liberale Sache begeistern kann. Dadurch gewinnt man vielleicht ein paar wirtschaftsinteressierte Wähler, aber die können auch finden, dass dieses ihr Interesse genauso gut von Parteien wie der CDU oder der AfD vertreten wird. Die FDP muss wieder zeigen können, dass das Wort „Freiheit“ für sie nicht nur eine Worthülse ist – und dass sie, verdammt noch eins, die entsprechenden Bürgerrechtsthemen ja durchaus in ihrem Programm hat!

Und noch ein Wort zur AfD: Meiner Einschätzung nach wählen diese Partei
a) Personen, die im Prinzip die FDP wählen würden – aber nur wegen der Wirtschaft. Bürgerrechte sind diesen Personen egal; „Ausländer“ wollen sie nicht.
b) Personen, die im Prinzip die Linke wählen würden – aber nur wegen deren Kritik an internationaler Vernetzung z.B. in Bezug auf NATO-Einsätze. Dass der Sozialismus von seiner Genese her eine internationale Idee ist, passt ihnen dagegen nicht. Sie sind gegen die europäische Vernetzung, gegen den Euro und – gegen „Ausländer“.
Für mich ist es nicht zu fassen, dass es so viele Menschen geben soll, die so denken und wählen.

Zu 2) Vor nicht mal einer Woche habe ich mit einer Person gesprochen, die ich persönlich sehr schätze und die meine politische Einstellung kennt. Sie [„sie“ bezieht sich übrigens auf „die Person“ und ist kein Hinweis auf das Geschlecht derselben] fragte mich, was ich von der Zweitstimmenkampagne der FDP halte. Ich seufzte ein wenig resigniert und sagte „ja mei“; eine Überraschung war das schließlich nicht. Daraufhin regte sich die Person auf und sagte mir, dass genau dieses Verhalten (also nicht meine Reaktion, sondern die Zweitstimmenkampagne 😉 ) die FDP für sie unwählbar mache. Was sollte ich dazu schon groß sagen? „Sie haben verdammt recht; diese Zweitstimmenkampagnen gehen mir auch mächtig auf den Senkel, aber es gibt dummerweise keine Partei, die meine Überzeugungen mehr vertritt als die FDP, sodass keine andere für mich wählbar ist“? So traurig es ist, so wahr ist es auch!

Was ich dann gesagt habe, war, dass es auch aus meiner Sicht ein Fehler ist, dass sich die FDP so einseitig an die CDU bindet und dass sie für eine Ampelkoalition ebenso offen sein müsste. (Am liebsten wäre mir zwar eine sozialliberale Koalition aus SPD und FDP, aber da werden mir nicht nur die Grünen-Anhänger sagen, dass ich da mal schön weiterträumen soll…)

Die FDP muss endlich verstehen, dass sie Zweitstimmenkampagnen nicht weiterbringen. Niemand wird die FDP wählen, weil er Angela Merkel will. Ich übrigens auch nicht. Ich will Angela Merkel ja gar nicht! Ich finde die Frau furchtbar, sie sitzt alles aus wie dereinst Kohl, hat keine eigenen Ideen und anscheinend nicht mal unverbrüchliche Überzeugungen. Keine klare Kante, ganz im Gegensatz übrigens zu ihrem Herausforderer Steinbrück. Der hat sich zwar am Anfang des Wahlkampfs angestellt wie der berühmte Elefant im Porzellanladen, aber gegen Ende vieles wieder wettgemacht. Klar, man sollte einfach wissen, dass man Sachen, die zwar sachlich zutreffend sind – im Vergleich zu Managergehältern sind Politikergehälter niedrig, auch wenn das eher gegen die Managergehälter spricht als gegen die Politkergehälter – einfach nicht sagt, wenn das gleichbedeutend damit ist, dass man implizit eine Gehaltserhöhung für sich selbst fordert. Aber dass Steinbrück jemand ist, dem man abnimmt, dass er sagt, was er denkt (auch wenn er in diesem Fall noch mal darüber hätte nachdenken sollen, was er da sagt), finde ich doch sehr sympathisch.

Wie schon gesagt, Zweitstimmenkampagnen bringen die FDP nicht weiter. Ich dachte eigentlich, das zumindest hätte Rösler verstanden, als er FDP-Vorsitzender wurde. Denn ich wähle die FDP, weil ich die FDP will, und ganz bestimmt nicht, weil ich Angela Merkel will. Und ich würde mit meiner Erststimme niemals, wirklich niemals die CSU wählen! Never ever! Dann schon eher die SPD. Sollte die FDP ihren liberalen Kompass jetzt nach der Wahl nicht neu ausrichten oder gar ihre Bürgerrechtspositionen noch weiter schwächen, mache ich bei der nächsten Bundestagswahl mein persönliches Stimmensplitting und gebe meine Erststimme der SPD. (Auch wenn das dem entsprechenden SPD-Kandidaten bzw. der SPD-Kandidatin dann vermutlich auch nicht viel bringt; ich bin schließlich aus Bayern.)

Aber ich wähle die FDP, weil ich die FDP will. Nicht, weil ich eine Koalition der FDP mit der Partei X will. Dass die FDP nicht allein regieren wird und mit ihren eigenen Zielen in einer Koalition Abstriche machen muss – geschenkt. Aber, bitteschön, doch nicht so viele Abstriche wie in den vergangenen vier Jahren! Die FDP hätte diesen Koalitionsvertrag nie unterschreiben dürfen! Aber Angela Merkel und Wolfgang Schäuble haben darauf gesetzt, dass die FDP sich damals verpflichtet fühlte, zu „liefern“ – und gewonnen. Spiel, Satz und – wie man heute eindrucksvoll gesehen hat – Sieg.

Und damit gute Nacht. Auch gute Nacht, FDP. Ich wünsche Dir, dass Du wieder aufwachst. Die Chancen dazu trägst Du in Dir, auch wenn es für Dich jetzt schwieriger wird denn je.


Gaucks erste Rede als Bundespräsident

23. März 2012

Von http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,823277,00.html:

Freiheit ist eine notwendige Bedingung von Gerechtigkeit. […] Umgekehrt ist das Bemühen um Gerechtigkeit unerlässlich für die Bewahrung der Freiheit.

Wie schön, das aus seinem Mund zu hören!
Und liberal ist… Gauck!

Und speziell zu den rechtsextremen Verächtern unserer Demokratie sagen wir in aller Deutlichkeit: Euer Hass ist unser Ansporn. Wir lassen unser Land nicht im Stich. Wir schenken euch auch nicht unsere Angst. Ihr werdet Vergangenheit sein und unsere Demokratie wird leben.
Die Extremisten anderer politischen Richtungen werden unserer Entschlossenheit in gleicher Weise begegnen. Und auch denjenigen, die unter dem Deckmantel der Religion Fanatismus und Terror ins Land tragen, und die hinter die europäische Aufklärung zurückfallen, werden wir Einhalt gebieten. Ihnen sagen wir: Die Völker ziehen in die Richtung der Freiheit. Ihr werdet ihren Zug vielleicht behindern, aber endgültig aufhalten könnt ihr ihn nicht.

Herr Bundespräsident, Sie sprechen mir aus der Seele!
Nur in einem schöneren, elegant schlichten Stil, der klar und deutlich sagt, was Sie meinen.
So möchte ich auch schreiben – und reden – können.
Ich werde mir Ihren Stil zum Vorbild für meine Seminararbeiten nehmen. (Zumindest für die deutschen. Bei meinen englischsprachig verfassten Essays habe ich zweimal den Kommentar bekommen, sie seien „elegantly written and presentend“. Nur auf Deutsch neige ich leider zum Verschwurbelt-Schreiben mit besonders komplexen Satzkonstruktionen.)

Ach… war da nicht mal was mit „ein Bundespräsident soll Vorbild sein“?
Ist er schon. Nach dieser Rede auf jeden Fall.


Liberal ist…

22. August 2011

Irgendwo auf diesem Blog muss ich schon einmal erwähnt haben, dass mein Selbstbild das einer „liberalen katholischen Christin“ ist. Das Wörtchen „liberal“ ist dabei für mich mehr als nur eine Präzisierung des Wortes „Christin“. Über Glauben schreibe ich wahrscheinlich ein andermal noch einen Beitrag. Jetzt, wo der Liberalismus mal wieder besonders stark in der Kritik ist, ist aber vielleicht der richtige Zeitpunkt, um sich einmal als „liberal“ zu „outen“ – und zu schreiben, was man denn darunter verstanden wissen möchte.

Genug der Vorrede!

Liberal ist jemand, der denkt, dass „Freiheit zur Verantwortung“ keine Floskel ist, die nur im Parteiprogramm einer (mittlerweile wieder sehr) kleinen gelben Partei steht. Liberal ist jemand, für den „Freiheit zur Verantwortung“ eine Überzeugung ist: Im Mittelpunkt des Liberalismus steht der Mensch.

Deshalb ist es für mich eben gerade keine liberale Überzeugung, wenn jemand glaubt, im Sinne des Liberalismus für finanzielle Einschnitte bei allem Möglichen eintreten zu müssen – auch bei den sozialen Sicherungssystemen. Denn es gibt Menschen, deren Fähigkeiten für die Wirtschaft nicht so „verwertbar“ sind wie die anderer Menschen – und Menschen, die vielleicht gar nicht bloß „wirtschaftlich verwertbar“ sein, geschweige denn danach gemessen werden wollen.
Einer davon schreibt hier.

Und überhaupt der Glaube, Bildung und Ausbildung seien etwas, das nur ja möglichst gut wirtschaftlich verwertbar sein muss: der ist auch nicht liberal. Er ist weder ethisch noch moralisch, denn er missachtet die Würde derjenigen, die nun als eben nicht so „verwertbar“ angesehen werden.
„Handle so, daß du die Menschheit, sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden andern, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest“ – so lautet eine bekannte Formulierung des praktischen Imperativs bzw. der Selbstzweckformel des kategorischen Imperativs in Immanuel Kants „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten“ (1785).
Der Mensch soll niemals Mittel zum Zweck sein, sondern in seinem eigenen Wert im Mittelpunkt stehen – davon überzeugt zu sein, das wiederum ist liberal. Liberal ist es, für diese Überzeugung einzustehen – auch wenn sie einmal nicht mit nur scheinbar „wirtschaftsliberalen“ „Notwendigkeiten“ konform geht.

Ja, liberal ist für mich jemand, der zu seinen Überzeugungen steht – der für sie einsteht, auch wenn es mal unbequem oder „nicht in Mode“ ist. Aber niemand, der zu jedem Thema seinen Senf dazugeben muss. Sondern jemand, der widerspricht, wenn andere etwas vertreten, das seinen Überzeugungen widerspricht.

Liberal ist jemand, der glaubt, dass ein Bildungs- und Erziehungsziel „kritische Mündigkeit“, wie es in der Bundesrepublik Deutschland vertreten wird, essentiell wichtig ist. Der glaubt, dass es in der Schule nicht nur darauf ankommt, fachliches Wissen zu vermitteln oder Schülern beizubringen, wie sie in der Gesellschaft sozial „überleben“ können.
All dies ist sehr wichtig – völlig ohne Frage. Aber entscheidend ist es, junge Menschen dazu zu bewegen, selbst denken zu lernen: „Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“ Das ist nicht nur der „Wahlspruch der Aufklärung“, als den ihn Kant in seinem berühmten Aufsatz „Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?“ (1784) darstellt. Das ist es auch, was für mich im Kern jeder schulischen und sonstigen Bildung steht. Das ist der Grund, weshalb ich Lehramt studiere. Das ist mein liberales Pathos. Das ist meine tiefste Überzeugung.
Denn das Entscheidende ist nicht, in einer Gesellschaft bloß „überleben“ zu können. Das Entscheidende ist es, sie gestalten zu können. Die Gesellschaft – und die eigene Zukunft.

Liberal ist es aber nicht, die Augen davor zu verschließen, dass es Menschen gibt, die das eben angesprochene Metareflexionsniveau nicht erreichen können – etwa aufgrund der eigenen genetischen Ausstattung (z.B. Trisomie 21 / „Down-Syndrom“) oder wegen eines Unfalls. Und dass es Menschen gibt, die in ihrer „selbst verschuldeten Unmündigkeit“ verharren, wie es Kant so klar erkannte, oder in sie zurückgeworfen werden. Nicht bloß aus „Faulheit und Feigheit“, wie der Philosoph schrieb – nein, auch aus Lebensangst, schlechten Erfahrungen, Krankheit (z.B. schwerer Depression, Alzheimer), hohem Alter etc. Oder weil sie einfach niemand angeleitet hat, wie sie den „Ausgang aus ihrer selbst verschuldeten Unmündigkeit“ finden können. Oder weil sie sich dem als Kinder verweigert haben, weil sie damals noch nicht so weit dachten. Oder weil … es gibt so viele mögliche Gründe.
Auch für diese Menschen muss ein liberaler Staat sorgen, wenn er wirklich den Menschen in den Mittelpunkt stellt. Selbst dann, wenn der Grund tatsächlich „Faulheit“ sein sollte – denn ein Liberaler lässt keinen einzigen Menschen auf der Strecke.
Das als „liberal“ zu bezeichnen, ist eine ziemlich unmodische Sichtweise, nicht wahr? Sie war eigentlich auch nie in Mode. Aber ich schrieb ja schon, dass es hier um Moden nicht geht.

Liberal ist ein Mensch, der das Wort „Toleranz“ nicht wörtlich aus dem Lateinischen übersetzt („erdulden“, „erleiden“, „zulassen“). Liberal ist es, andere nicht für die Art und Weise zu verurteilen, wie sie ihr Privatleben gestalten möchten. Liberal ist jemand, der andere Menschen so akzeptiert, wie sie sind, solange sie damit kein Verbrechen begehen. Denn liberal ist es, andere mit Achtung und Respekt zu behandeln – und es ist tolerant.

Liberal ist jemand, für den Freiheitsrechte keine Verhandlungsmasse sind. Liberale sind Norweger im Geiste. Sie schreien nach Anschlägen und Verbrechen nicht nach noch mehr Überwachung, sondern rufen laut: „Jetzt erst recht! Wir brechen eine Lanze für eine liberale Gesellschaft!“
„Der Freiheit eine Gasse!“, wie in dem Herwegh-Gedicht (1841).
In diesem Sinne können Liberale durchaus radikal sein.

Liberal ist es, für diese Überzeugungen einzutreten, auch wenn – oder gerade wenn – man damit (momentan) keinen Blumentopf gewinnen kann.

Diese Liste könnte ich noch viel weiter führen. Aber irgendwo muss man ja auch einmal einen Punkt machen.
Nur – wie nennen wir das ganze nun? Bürgerrechtsliberal? Sozialliberal? Linksliberal? Oder: falsch verstandener Liberalismus? Aus meiner subjektiven Sicht richtig verstandener Liberalismus?
Ja, und hier kommt nun die Stelle, an der man mal jemandem, der sich als „liberal“ bezeichnet, mit Fug und Recht Beliebigkeit vorwerfen darf: Das ist mir völlig egal! Für mich ist es einfach nur das: liberal. Ohne präzisierende Attribute. Und wenn ihr mir unbedingt ein Etikett aufkleben müsst – sucht euch eins aus!

Doch eines sollte klar sein: Liberalismus bedeutet nicht „Beliebigkeit“, nicht reines „Laisser-faire“. Liberalismus ist wertegebunden. Und Liberalismus kann ganz schön unbequem sein. Für den, der ihm begegnet – und (gerade vor allem) für den, der ihn vertritt.

Ist das, was ich oben ausgeführt habe, utopisch?
Vielleicht.
Ist es idealistisch?
Na, aber so was von!
Ist es meine Überzeugung?
Auf jeden Fall.

In diesem Sinne: Vielen Dank für alle, die bis hier unten durchgehalten haben! 😉


Zu Guttenbergs Rücktritt

1. März 2011

Heute hat Karl-Theodor zu Guttenberg endlich die Konsequenzen daraus gezogen, dass die Plagiate in seiner Dissertation aufgeflogen sind, und ist vom Amt des Verteidigungsministers zurückgetreten. Hier ein Artikel der ZEIT zum Thema (inklusive eines Videos von seiner Rücktrittserklärung):

http://www.zeit.de/politik/deutschland/2011-03/guttenberg-ruecktritt-doktorarbeit

Übrigens eine argumentativ sehr gute und stichhaltige Begründung, dass die Fokussierung der Medien und der Öffentlichkeit auf ihn und seine Doktorarbeit die Aufmerksamkeit von eigentlich viel bedeutenderen Vorgängen wie den Revolutionsbewegungen in Nordarfrika, der Bundeswehrreform oder im Dienst verstorbenen Soldaten ablenken.

Noch einige Anmerkungen, damit ihr meine Position in dieser Angelegenheit vielleicht besser einordnen könnt:

Guttenberg hat etwas sehr Richtiges getan, als er damals (endlich) anfing, die Terminologie „Krieg“ in Bezug auf den Afghanistan-Einsatz zu verwenden. Ich habe auch nicht vergessen, dass er bei der „Opel-Rettung“ als neuer Wirtschaftsminister der einzige in der Bundesregierung war, der sich wirklich kritisch geäußert hat (siehe meinen Blog-Beitrag dazu). Außerdem war es mir sehr sympathisch, wie er beim Nockherberg 2009 über sich selbst lachen konnte (auch hierzu habe ich einen Blog-Beitrag geschrieben). Deshalb war meine eigene Meinung ihm gegenüber bisher auch verhalten positiv, obwohl ich a) nicht gerade CSU-Sympathisantin bin und b) im Allgemeinen auch nicht gerade Sympathisantin von „Adeligen“ bin.

Das hat sich dann schlagartig geändert, als ich von der zusammenkopierten Doktorarbeit erfahren habe. Sich durch diese Form von „wissenschaftlichem“ Arbeiten einen akademischen Grad zu „erschleichen“ – so etwas geht einfach nicht. Guttenbergs „Salamitaktik“ im Umgang mit dem Thema – und übrigens auch die Beiträge, mit denen ihn Parteifreunde vor dem Sturz über diese Angelegenheit bewahren wollten – haben dem Wissenschaftsstandort Deutschland geschadet. Deshalb war es ein guter und richtiger Schritt, dass Karl-Theodor zu Guttenberg nun zurückgetreten ist.


Guttenberg – Alles nur geklaut?

23. Februar 2011

Professoren und Dozenten der LMU haben einen Offenen Brief an den bayerischen Wissenschaftsminister Heubisch geschrieben, in dem sie sich dafür einsetzen, dass durch die „Causa Guttenberg“ nicht der Eindruck entsteht, als sei das „Vergessen“ von Zitatbelegen bzw. von Belegen paraphrasierten Textes im Wissenschaftsbetrieb auch nur irgendwie akzeptiert:

http://www.muenchenblogger.de/uni/guttenberg-offener-brief-von-lmu-professoren-kein-kavaliersdelikt-wie-falschparken

Als Studentin, die ja auch schon seit dem ersten Semester weiß, dass man Zitate und paraphrasierten Text auf jeden Fall belegen muss, sehe ich das ganz genauso.

Humoristisch beschäftigt sich mit dem Thema u.a. Radio ffn, das den Song „Alles nur geklaut“ von den Prinzen zu einem „Guttenberg-Song zur Doktorarbeit“ umgedichtet hat:

Die Uni Bayreuth hat Guttenberg den Doktortitel übrigens mittlerweile aberkannt.

Ergänzung:
Wenn ihr auch der Meinung seid, dass Guttenbergs Plagiieren inakzeptabel war, könnt ihr euch (auch als Nicht-Doktoranden) als „Unterstützer“ des Offenen Briefs von Doktoranden an die Bundeskanzlerin eintragen:
http://offenerbrief.posterous.com/


Der Sar(r)azene

6. Oktober 2010

Ich bin gerade auf der Suche nach Karikaturen zum Thema Integration.

Sarrazin, der SarrazeneQuelle: Klaus Stuttmann, Karikaturist; http://www.stuttmann-karikaturen.de/karikaturen/kari_20100826_Sarrazene.gif

Aaah, was habe ich gelacht! 😀

Ich lasse das jetzt einfach mal unkommentiert, bzw. ich lasse die Karikatur für sich selbst sprechen.