Der Medicus (Verfilmung)

4. Januar 2014

Kürzlich sah ich zusammen mit Freunden die Verfilmung des „Medicus“ von Noah Gordon im Kino. „Der Medicus“ läuft seit 25. Dezember 2013 und ist ein packendes Historienabenteuer, das mir sehr gefallen hat!

Der Medicus (Filmplakat)Zur Handlung: England, Anfang des 11. Jahrhunderts. Nach dem Tod seiner Mutter schließt sich der junge Rob Cole (Tom Payne) einem fahrenden Bader (Stellan Skarsgård) an, der ihn in sein Handwerk einführt, als er zunehmend das Augenlicht verliert. Schließlich überredet Rob den Bader, von jüdischen Heilern eine Starstich-Operation durchführen zu lassen, nach der er wieder sehen kann. Dabei erfährt er von Ibn Sina (latinisiert: Avicenna; Ben Kingsley), dem größten Medicus seiner Zeit. Daraufhin tritt Rob als Jude verkleidet die beschwerliche und lange Reise nach Isfahan an, um Ibn Sinas Schüler zu werden…

Es war wohl ganz gut, dass ich das Buch nicht vorher gelesen hatte, denn im Vergleich zur Romanvorlage The Physician (1986) wurden anscheinend zahlreiche Änderungen vorgenommen. So stirbt Rob Coles Mutter im Film an einer Blinddarmentzündung, während sie im Roman an Kindbettfieber stirbt, und Rob verliebt sich in die Jüdin Rebecca statt in die Christin Mary, die im Film gar nicht vorkommt. Doch die geänderte Storyline „funktioniert“; es ist ein unterhaltsamer und spannender Abenteuerfilm entstanden. Überragender Darsteller war Ben Kingsley als weiser Lehrer Ibn Sina.

Mit dem Thema Religion geht der Film recht ausgewogen um: Negativ dargestellt werden wissenschaftsfeindliche „Hardliner“ aller drei Religionen, die ihre religiösen Vorbehalte über die Menschlichkeit stellen: der christliche Priester, für den eine Behandlung von Robs sterbender Mutter „Zauberei“ und „ketzerisch“ wäre; der muslimische Mullah, der Rob und den eigentlich unbeteiligten Ibn Sina wegen der Sektion eines Parsen hinrichten lassen will; der jüdische Rabbi, der Robs große Liebe Rebecca (Emma Rigby) wegen Ehebruchs steinigen lassen will. Sie werden besonders im Fall der Juden und Muslime klar von den „normalen“ Gläubigen abgegrenzt.
Bewusst wählt Rob auch einen Parsen, um ihn zu sezieren und so eine Heilungsmöglichkeit für die „Seitenkrankheit“ (Blinddarmentzündung) zu finden, die schon seine Mutter dahingerafft hat: Der Parse glaubt im Gegensatz zu den anderen Religionsvertretern nicht, dass es irgendeine Bedeutung hat, was nach seinem Tod mit seiner sterblichen Hülle geschieht. Rob respektiert hier also die religiösen Vorstellungen eines Andersgläubigen. Er zeigt gewissermaßen religiöse Toleranz, bevor die von der Aufklärung geprägte ethische Toleranzvorstellung existierte (was den Machern des Films höchstwahrscheinlich nicht bewusst war, Robs Handeln aber nicht unplausibel macht).

Aus dramaturgischen Gründen greift der Film in die historischen Abläufe ein. So stirbt Ibn Sina z.B. nicht, wie historisch belegt, im Jahr 1037 mit Ende 50 an einer Magen-Darm-Erkrankung, sondern erlebt im Film mit Anfang 70 die Eroberung Isfahans durch die Seldschuken im Jahr 1051. Das kann man der Verfilmung aber kaum vorwerfen: Nach Aussage seines Autors Noah Gordon sollte schon der Roman keine Darstellung der historischen Realität sein, sondern ist eher als mittelalterliche Fantasy-Welt gedacht; dazu passt auch Robs Gabe, den nahenden Tod eines Menschen „spüren“ zu können. Und als Mittelalter-Fantasy mit historischer Grundierung funktioniert der Film ausgezeichnet!

Zum Abschluss muss trotzdem noch ein bisschen „nitpicking“ sein. Ich beschränke mich mal auf drei Stellen:

  • Nach seiner Starstich-Operation sagt der Bader vor Glück weinend, er könne nun wieder sehen „wie als kleiner Junge“. Bei Starstich-Operationen wurde aber bis in die Frühe Neuzeit die getrübte Linse als Ganzes entfernt, woraus starke Weitsichtigkeit (ca. +11 Dioptrien) resultierte. Gut sehen konnte man danach also nicht, aber immerhin konnte man überhaupt wieder etwas sehen.
    Wie realistisch es ist, dass jemand die im Film gezeigte Blinddarm-Operation überlebt, kann ich als Nicht-Medizinerin dagegen nicht beurteilen. Eigentlich gibt es die Behandlungsmethode, bei der der entzündete Wurmfortsatz abgetrennt wird, ja erst seit Ende des 19. Jahrhunderts; sie entstand also unter völlig anderen technischen und hygienischen Voraussetzungen.
  • Spätestens in dem Augenblick, als Rob das jüdische Tischgebet nicht sprechen konnte, wäre er als Nichtjude enttarnt gewesen. „So betet ihr also in England?“, hätte da sicher niemand gefragt. Das Tischgebet ist überall gleich. Mal ganz davon abgesehen, dass es nicht vor, sondern erst nach dem Essen gesprochen wird…
  • Als Ibn Sina mit Rob eingekerkert ist, wirft er Rob vor, aus Erkenntnisdrang einen Leichnam geöffnet zu haben, statt nach einem langen eigenen Leben zu streben, um möglichst lange Menschen helfen zu können. Vom „echten“ Ibn Sina ist ein Ausspruch überliefert, wonach er ein kurzes, erfülltes Leben einem langen, ereignislosen vorzog.

Aber, wie schon gesagt: Ein toller, spannender Abenteuerfilm! Sehenswert. Macht Lust, auch den Roman zu lesen.


A Sign of Tolerance – Ein Zeichen von Toleranz

30. Juli 2013

(deutsche Version: siehe unten)

I must admit that I have been and still are quite sceptical about Pope Francis, because – well, because he loves the camera and the camera loves him. He’s just acting too well with the media. But now – this sign of tolerance:

“If someone is gay and he searches for the Lord and has good will, who am I to judge?”
(On Gay Priests, Pope Francis Asks, ‚Who Am I to Judge‘?, New York Times, 29.07.2013) 

Yes, the Catholic Church is still far from accepting homosexuals for who they are. Yes, Francis is against gay marriage and adoption rights for gay or lesbian couples; he does consider homosexual action as a sin, as being against God’s will. But nonetheless – his „Who am I to judge?“ is resonating within my liberal heart (yes, I’m an ideologist, I don’t deny it). Perhaps I’m over-interpreting, but I interpret his statement that way: Francis accepts homosexuality as being „just there“, not something people can choose to be. People are either born this way, or they aren’t. Therefore, homosexuality is nothing people can be „cured of“.* Hence, it would be unmerciful to condemn homosexual people, because it’s not their „fault“ that they are homosexual. If someone who is gay seeks God, wants to become a priest and, as such, lead a celibate life, he may.

That’s more than any pope publicly conceded to homosexual people ever before. It’s a sign of tolerance. It shines. And it makes me, as a Christian, a liberal and (being a liberal) an advocate of tolerance in the Enlightenment sense of the word – happy. This is the first time I didn’t have to be enraged when hearing a pope’s words on such an issue. Thank you, Francis!


* Following pure logics, the next thought would be: „If you can’t choose your sexual orientation, it must be God who made you gay/ lesbian or straight. Consequently, homosexuality cannot be against God’s will and therefore should be accepted by the Church.“ But that’s probably asking too much…

chodowiecki_aufklärung

Daniel Nikolaus Chodowiecki: Aufklärung, 1791 (Ausschnitt mit Kirche)

(English version: see above)

Ich muss gestehen, dass ich ziemlich skeptisch gegenüber Papst Franziskus war und immer noch bin, weil – ja, weil er die Kamera liebt und die Kamera ihn liebt. Er geht einfach zu gut mit den Medien um. Aber nun – dieses Zeichen der Toleranz:

„Wenn jemand schwul ist und Gott sucht und guten Willens ist – wer bin ich, darüber zu urteilen?“
(On Gay Priests, Pope Francis Asks, ‚Who Am I to Judge‘?, New York Times, 29.07.2013)

Ja, die katholische Kirche ist immer noch weit davon entfernt, Homosexuelle dafür zu akzeptieren, was sie sind. Ja, Franziskus ist gegen die Homo-Ehe und Adoptionsrechte für schwule oder lesbische Paare; er betrachtet homosexuelle Handlungen als Sünde, als etwas, das gegen den Willen Gottes ist. Und dennoch – sein „Wer bin ich, darüber zu urteilen?“ klingt in meinem liberalen Herzen nach (ja, ich bin ideologisch, ich streite es gar nicht ab). Vielleicht überinterpretiere ich ihn da, aber ich interpretiere seine Äußerung so: Franziskus akzeptiert Homosexualität als etwas, das „einfach da“ ist, nicht als etwas, bei dem Menschen darüber entscheiden können, ob sie es sein wollen. Menschen werden entweder so geboren oder eben nicht. Also ist Homosexualität auch nichts, wovon Menschen „geheilt“ werden könnten.* Deshalb wäre es unbarmherzig, homosexuelle Menschen zu verdammen, weil es nicht ihre „Schuld“ ist, dass sie homosexuell sind. Wenn jemand, der schwul ist, Gott sucht, Priester werden möchte und als solcher ein enthaltsames Leben führen möchte, dann darf er das.

Das ist mehr, als irgendein Papst homosexuellen Menschen je öffentlich zugestanden hat. Es ist ein Zeichen von Toleranz. Es leuchtet. Und es macht mich als Christin, als Liberale und als liberale Verfechterin von Toleranz im Sinne der Aufkärung – glücklich. Das ist das erste Mal, dass ich mich nicht aufregen musste, als ich die Worte eines Papstes zu so einem Thema gehört habe. Danke, Franziskus!


* Rein logisch betrachtet müsste der nächste Gedanke sein: „Wenn man seine sexuelle Orientierung nicht wählen kann, muss es Gott sein, der einen als schwul/ lesbisch oder hetero geschaffen hat. Folglich kann Homosexualität nicht gegen den Willen Gottes sein und sollte deshalb von der Kirche akzeptiert werden.“ Aber das ist dann wahrscheinlich doch zu viel verlangt…


Faun – Eden

10. Juli 2011

Am 24. Juni ist das neueste Album der Münchner Pagan Folk-Gruppe Faun erschienen. Es ist mit 72:12 Minuten das längste der Bandgeschichte und wird von einem 70-seitigen Booklet begleitet, das von diversen Künstlern gestaltet wurde und neben allen Liedtexten viele Hintergrundinformationen zu den einzelnen Liedern enthält. Thematisch geht es in allen Liedern des Konzeptalbums um den Garten Eden, den Faun von verschiedenen kulturellen, musikalischen und mythologischen Perspektiven her beleuchten.

Das Etikett „Pagan“, das Faun für ihre Musik selbst geschöpft haben, um ihre Naturverbundenheit auszudrücken, findet Oliver Pade mittlerweile problematisch, wie er der Musikzeitschrift „Sonic Seducer“ (Sonderedition Mittelalter-Musik 3, 01/2011) berichtete: „Einerseits sind wir von unserer Überzeugung sehr religiös und stehen auch dahinter, die Leute zum Nachdenken und Tiefergehen zu animieren. Andererseits wurde Pagan in den letzten Jahren auch oft als Aushängeschild für Sachen genommen, die ich nicht unbedingt vertreten kann. […] Es geht uns einfach nicht darum, möglichst viel Met zu trinken und ‚Sch*** Christen‘ zu rufen. Bei unserer letzten Akustiktour haben wir viel in Kirchen gespielt und ich muss gestehen, die besten Diskussionen, die ich seit langem geführt habe, waren mit Pfarrern. […] Mit dem Begriff Pagan werden teils eben auch Leute abgestoßen, die sehr interessant sind. Deshalb sind unsere Wurzeln und unsere Denkweise aber immer noch völlig mit der Natur verbunden.“

Tracklist: 1. Lupercalia (3:15) | 
2. Zeitgeist (4:01) | 
3. Iduna (3:19) | 
4. The Butterfly (1:33) | 
5. Adam Lay Ybounden (4:35) | 
6. Hymn to Pan (6:54)
 | 7. Pearl (5:04) | 
8. Oyneng Yar (5:31)
 | 9. Polska Från Larsson (4:35)
 | 10. Alba (7:15)
 | 11. Ynis Avalach (5:06) | 
12. Arcadia (7:14)
 | 13. The Market Song (5:50) | 
14. Golden Apples (7:34)

Mit Lupercalia haben Faun einen Text aus Ovids „Fasti“ vertont, in dem der Dichter diverse römische Feste beschreibt. (Es sind allerdings nur die Monate Januar bis Juni enthalten, da Ovid nach seiner Verbannung keinen Zugriff auf die römischen Bibliotheken und wohl auch keine Motivation mehr hatte, das Werk fertigzuschreiben.) Der Gedichtausschnitt, den Faun gewählt haben, handelt von einem Fest zu Ehren der Juno und des Faunes Lupercus (= griechisch Pan). Das Lied klingt mystisch, unterstützt durch den Chor der Mediæval Bæbes und die immer schnellere Wiederholung der Textzeilen „Ipse Deus nudus nudos iubet ire ministros“ („Der nackte Gott [Lupercus] befiehlt seinen Dienern, nackt zu gehen“).

Zeitgeist beschäftigt sich mit der Verbindung zur Natur, die vielen Menschen in unserer „modernen Zeit“ verloren gegangen zu sein scheint. Es vermittelt die Einsicht, dass wir, die Menschen, ja auch Teil der Natur sind. In einem mitreißenden Instrumentalteil setzt ein gesprochener Text auf Englisch ein: „you’re not in a fight against nature, […] there’s nothing to conquer, it’s all of you“.

Ähnlich mitreißend geht es mit Iduna weiter, das von der nordischen Göttin Iðunn („die Verjüngende“) handelt – der Göttin der ewigen Jugend und Hüterin der goldenen Äpfel, die den Göttern Unsterblichkeit verleihen. Der vertonte Textauszug entstammt dem „Hrafnagaldr Óðins“ („Odins Raben-Zauberspruch“), einem isländischen Gedicht im Stil der Lieder-Edda.

The Butterfly ist ein Arrangement des irischen Instrumentalstücks „The Butterfly Jig“. Im Booklet berichtet Oli, dass er beim Spielen des Stücks tatsächlich einmal einen schwarzen Schmetterling in seinem Zimmer entdeckt hat.

Das Instrumetalstück geht nahtlos in das mittelenglische Gedicht Adam lay ybounden über, das aus dem Sloane Manuscript 2593 (15. Jahrhundert) stammt, selbst aber wohl noch älter ist. Es steht in der Tradition der „Felix Culpa“ („Glückselige Schuld“) nach Thomas von Aquin (Summa Theologica III), der zufolge die Erlösung durch Christus erst dadurch ermöglicht wurde, dass Adam den Apfel genommen und damit die Erbsünde auf sich geladen hat. Das Lied ist eines meiner Favoriten auf der CD – nicht nur wegen des mitreißenden Folk-Rhythmus und des schönen Zusammenspiels der männlichen und weiblichen Stimmen, sondern auch – ich gebe es ja zu – wegen meines persönlichen Mittelenglisch-Faibles.

Hymn to Pan verbindet zwei Texte miteinander: eine Anrufung an den griechischen Hirtengott Pan von den beiden amerikanischen Musikern Robert N. Taylor und Nicholas Tesluk, die Faun durch B’ee von der Band „In Gowan Ring“ kennen gelernt haben, und einen Auszug aus dem Gedicht „In the Forest“ von Oscar Wilde (1854-1900). Olis Gesang ist sehr ruhig; er verschmilzt mit Fionas Hintergrundgesang und der verspielteren Melodie zu einer Einheit, die in mir das Bild eines Sommerabends nach einem heißen Tag entstehen lässt. (Überhaupt ist das Album sehr sommerlich geraten – als hätten die Faune nicht nur den Veröffentlichungstermin des Albums bewusst in den Sommer gelegt, sondern auch das derzeitige Sommerwetter bestellt.)

Mit Pearl haben Faun einen Auszug aus dem Gedicht „And Then No More“ des irischen Dichters James Clarence Mangan (1803-1849) vertont. Darin wird eine unerfüllte Liebe u.a. als „Eden’s light on Earth“ beschrieben. Das orientalisch klingende, verträumt wirkende Lied geht in einen fremdsprachigen Text über, der sich leider nicht im Booklet findet.

Oyneng Yar ist ein osmanisches Volkslied, das von Jungen und Mädchen erzählt, die in einem paradiesischen Garten gemeinsam spielen. Die Melodie ist mitreißend-stampfend; darüber liegt eine verspielte, schnelle Flötenmelodie. Erstaunlicherweise klingt „Oyneng Yar“ weniger „orientalisch“ als „Pearl“, dafür „erhabener“ und auch fröhlicher.

Darauf folgt Polska Från Larsson, eine schöne, verspielte, frühlingshafte Polka.

Das nächste Lied trägt mit Alba den Namen mittelalterlicher Tagelieder, die in den romanischen Sprachen nach der „Weiße“ des Morgengrauens (okzitanisch „Alba“) benannt wurden, in der sich die Liebenden trennen müssen. Die Melodie ist sehr ruhig bis mystisch; einen besonderen Akzent setzt das Cello des Gastmusikers Adam Hurst im Refrain „Lauf nicht davon, ich kann den Morgen sehen. Wir liefen weit, nun lassen wir den Winter ziehen.“ Das Lied ist melancholisch, doch im Gegensatz zu den „obligatorischen“ Trennungen der Tagelieder bleiben hier die Liebenden beisammen – trotz der „viel zu großen Welt“, in der sie leben.

Ynis Avalach ist nach der keltischen Anderswelt Avalon benannt, der „Insel der Äpfel“. Ähnlich wie die Äpfel der Iduna sind diese Früchte auch hier ein Symbol für Unsterblichkeit. Die Melodie des Instrumentalstücks ist eine Bearbeitung eines bretonischen Liedes; es ist flott und mitreißend und gefällt mir wegen seiner sommerlich-fröhlichen Stimmung sehr gut. Gegen Ende hin setzen die Instrumente aus, bis zuletzt nur noch die Flöte spielt und langsam verhallt.

Arcadia, das darauffolgende Lied, kombiniert wieder zwei unterschiedliche Texte: das finnische Volkslied „Metsän kuninkaalle“ und einen Auszug aus Oscar Wildes Gedicht „Pan“. Beide Texte haben gemeinsam, dass in ihnen der Herrscher der Wälder um Beistand angerufen wird: im finnischen Lied für eine erfolgreiche Jagd, in Wildes Gedicht durch den Glauben an die Beseeltheit der Natur (Animismus) angesichts einer scheinbar naturfernen modernen Welt. Der Liedtitel geht auf Arkadien zurück, eine Region im antiken Griechenland, deren Bewohner größtenteils als Hirtenvolk lebten und die zu einer Idylle verklärt wurde, in der die Menschen im Einklang mit der Natur lebten. Das Lied ist mitreißend und gefällt mir auch deshalb sehr gut, da ich sowieso eine Schwäche für die finnische Sprache habe.

The Market Song kombiniert eigene Texte Fauns mit dem englischen Volkslied „Copshawholme Fair“ über den Markt in Copshawholme (Cumberland / Nordengland). Es klingt in der Instrumentierung von Faun verträumter und ist filigraner instrumentiert als „unbearbeitete“ englische Volkslieder. Faun möchten das Lied den Veranstaltern und Helfern widmen, die ihre Auftritte bei den diversen Konzerten und Festivals möglich gemacht haben.

Einen würdigen Abschluss findet das Album schließlich in Golden Apples, das mit Vogelgezwitscher beginnt und dann in ein ruhig-verträumtes nordenglisches Wiegenlied übergeht. Schließlich spricht Mark Lewis einige Verse des persischen Mystikers Rumi, die ausdrücken, dass wir das Paradies nicht in der Ferne, sondern in uns selbst suchen sollten.

Faun - von links nach rechts: Rüdiger Maul, Fiona Rüggeberg, Oliver Pade (s. Tyr), Margareta (Rairda) Eibl, Niel Mitra

„Eden“ ist für mich das bisher beste Album von Faun – es schlägt sogar meinen langjährigen Favoriten „Licht“ (2003) mit meinem altisländischen Lieblingslied „Egil Saga“. Selten waren die faunischen Lieder so mystisch-verträumt, so filigran instrumentiert und dabei gleichzeitig so mitreißend wie auf dieser CD. Darüber hinaus wird mit den Liedtexten und vielen Hintergrundinformationen in dem 70 Seiten starken, kunstvoll gestalteten Booklet wieder eine Menge Fanservice geboten. Ein kleiner Wermutstropfen ist, dass im Gegensatz zum „Buch der Balladen“ diesmal keine Noten enthalten sind. Auch die Papphülle, in der sich die CD befindet, ist wegen der Gefahr des Zerkratzens, die von ihr ausgeht, nicht ganz ideal. Angesichts der wunderschönen, sommerlichen Musik und des schönen Booklets verblassen aber auch diese beiden kleinen Kritikpunkte.

Endlich einmal wieder ein Album, in das ich mich auf Anhieb verliebt habe!


Der Sar(r)azene

6. Oktober 2010

Ich bin gerade auf der Suche nach Karikaturen zum Thema Integration.

Sarrazin, der SarrazeneQuelle: Klaus Stuttmann, Karikaturist; http://www.stuttmann-karikaturen.de/karikaturen/kari_20100826_Sarrazene.gif

Aaah, was habe ich gelacht! 😀

Ich lasse das jetzt einfach mal unkommentiert, bzw. ich lasse die Karikatur für sich selbst sprechen.


La raison, die Frucht der Erkenntnis?

26. September 2010

Manchmal frage ich mich, ob die Frucht – ein Apfel war es ja wahrscheinlich nicht -, die Eva da vom Baum der Erkenntnis gepflückt hat, nicht genau das war, was Richelieu unter raison versteht (siehe vorangegangener Post)… Zum einen heißt es „Baum der Erkenntnis“, zum anderen gibt es da diese frappierende klangliche Ähnlichkeit zwischen la raison und dem französischen Wort für die „Frucht“, la raisin (auch wenn das mit dem althebräischen Original mit Sicherheit nul zu tun hat). Deshalb frage ich mich, ob Gott nicht vielleicht deshalb so wütend wurde, weil dem Menschen mit der Raison gleichzeitig die Macht gegeben war, Gottes Existenz in Frage zu stellen…

Auf den ersten Blick scheint das meiner sonstigen Auffassung zu widersprechen, wonach Gott den Menschen die Freiheit gegeben hat, sich in ihrem Leben dafür zu entscheiden, Gutes oder Böses zu tun.
Ich bin nämlich fest davon überzeugt, dass der Mensch an sich weder „gut“ noch „böse“ ist, sondern durch Anlagen und Umstände (seine „Um-Welt“) eher in die eine oder in die andere Richtung gerät. Da ihm ja – wie Richelieu meint – von Gott die Raison gegeben ward, hat er die Fähigkeit, sich innerhalb eines von seiner Umwelt gesetzten Rahmens frei für das eine oder das andere zu entscheiden.

Ja, ich bin mir bewusst, dass ich damit die Vorstellung von einer „Erbsünde“ verwerfe. Das bedeutet automatisch auch, dass ich die ganze Geschichte vom „Sündenfall“ nicht so ganz ernst nehme und eher als Erfindung betrachte – einen Erklärungsversuch dafür, wie die Sünde in die Welt kam.
Und wo wir gerade dabei sind: Ich glaube auch nicht an den „Teufel“. Menschen können schon teuflisch genug sein, da braucht man nicht auch noch übernatürliche Wesen. Der größte Kampf im Leben ist für mich ohnehin der gegen sich selbst – der darum, Gutes zu tun und Schlechtes zu unterlassen. Deshalb haben meine Überlegungen in diesem Post auch eher philosophisch-hypothetischen Charakter.

So, ich denke, das waren meine wesentlichen „undogmatischen“ Gedanken. Der Schluss ist wieder etwas versöhnlicher und versucht, die Geschichte vom „Sündenfall“ wieder ein Stück weit für mich zu retten:

Vielleicht hatte Gott in seiner Voraussicht ja bedacht, dass Eva den Apfel nehmen würde, und wollte vor allem wissen, ob der Mensch tatsächlich bereit ist, die Bürde der Freiheit – die „Vertreibung aus dem Paradies“ – auf sich zu nehmen. Ob der Mensch bereit ist, den steinigen Weg zu wählen statt der Bequemlichkeit des Paradieses, in dem dem Menschen kein Schaden zugefügt werden kann, in dem er aber auch nicht selbstständig denken muss… Und als Eva den Apfel nahm, bestätigte sie die Antwort, die Gott ohnehin erwartet hatte…


Richelieu und die Raison

25. September 2010

In der vergangenen Zeit habe ich mich ein wenig mit dem raison-Begriff bei Kardinal Richelieu beschäftigt.

Wilhelm Mommsen, einer der bedeutendsten deutschen Historiker des 20. Jahrhunderts, weist in seinem Aufsatz „Richelieu als Staatsmann“ darauf hin, dass die Begriffe raison und raisonnable, die bei Richelieu häufig auftreten, sich im Deutschen am ehesten entweder mit „Verstand“ oder „Vernunft übersetzen lassen (vgl. HZ 127 (1923), S. 211 f.). Die Begründung, die Richelieu dafür gibt, dass man sich in der Staatsführung in erster Linie durch die Raison leiten lassen soll, ist in mehrfacher Hinsicht interessant und verdient es, einmal etwas ausführlicher zitiert zu werden:

La lumière naturelle fait connoistre à un chacun que, l’homme ayant esté fait raisonnable, il ne doit rien faire que par raison, puisqu’autrement il feroit contre sa nature, et, par conséquent, con-tre celuy mesme qui en est l’autheur.
Elle enseignent encore que, plus un homme est grand et eslevé, plus il doit faire estat de ce privilège et que moins il doit abuser du raisonnement qui constitute son estre, parce que l’avantage qu’il a sur les autres hommes contai[gne]nt à conserver ce qui est de la nature et ce qui est de la fin que celuy dont il tire son élévation s’est proposé.
De ces deux principles il s’ensuit clairement que l’homme doit souverainement faire régner la raison, ce qui ne requiert pas seulement qu’il ne fasse rien sans elle, mais l’oblige, de plus, à faire que tous ceux qui sont sous son authorité la révèrent et la suivent religieusement.
Cette conséquence est la source d’une autre qui nous enseigne qu’ainsy qu’il ne faut rien vouloir qui ne soit raisonnable et juste, il ne faut rien vouloir de tel que l’on ne fasse exécuter et où les commandemns ne soient suivis d’obéissance, parce qu’autrement la raison ne règneroit pas souverainement.

(Françoise Hildesheimer (Hrsg.), Testament politique de Richelieu (Société de l’histoire de France), Paris 1995, S. 245.)

Für alle, die entweder kein Französisch gelernt haben oder mit dem Schwierigkeitsgrad des Textes nicht zurechtkommen, folgt ein Auszug aus einer deutschen Übersetzung, die allerdings nicht zu 100% wörtlich ist:

Die natürliche Einsicht läßt jeden erkennen, daß, da der Mensch „raisonnable“ geschaffen ist, er alles nur aus der Räson heraus tun darf, denn sonst würde er gegen seine Natur handeln und folglich gegen die Grundlage seines eigenen Wesens [wörtlich: gegen denjenigen selbst, der deren (d.h. der Natur) Schöpfer ist, Anm. Jary]. Sie lehrt weiter, daß, je größer und bedeutender ein Mensch ist, um so mehr muß er auf dieses Vorrecht halten, und um so weniger darf er das „raisonnement“ mißbrauchen, das sein Wesen ausmacht, weil die Vorteile, die er vor andern voraus hat, ihn zwingen, das zu behaupten, was seiner Natur und dem Zweck dessen entspricht, dem er seine Erhöhung verdankt.
Aus diesen beiden Prinzipien geht klar hervor, daß, wenn der Mensch in hervorragender Weise „raisonnable“ ist, so muß er in hervorragender Weise auch die Räson regieren lassen. Das aber erfordert nicht nur, daß er nichts ohne sie tut, sondern es verpflichtet ihn noch zu mehr, nämlich, daß alle, die unter seiner Herrschaft stehen, sie verehren und ihr gläubig folgen. Diese Folgerung ist die Quelle einer anderen, die uns lehrt, daß, wie man nichts wollen soll, was nicht „raisonnable“ und gerecht ist, so darf man auch das nicht wollen, was sich nicht ausführen läßt, und wobei man, wenn man es befiehlt, nicht auf eine gehorsame Befolgung der Gebote rechnen kann, weil sonst die Räson nicht unumschränkt herrschen würde.

(Wilhelm Mommsen (Hrsg.), Richelieu, Politisches Testament und Kleinere Schriften. Übersetzung von Frieda Schmidt (Klassiker der Politik 14), Berlin 1926, S. 167.)

Die meisten neueren Historiker sind sich mittlerweile einig, dass Richelieus Glaube tief in seiner Persönlichkeit verwurzelt war und beileibe nicht die geringe Rolle gespielt hat, die ihm z.B. noch Wilhelm Mommsen zugesprochen hat. Für Richelieu fußt der Staat auf Gott, und die Raison ist ein Geschenk Gottes an die Menschen. Da der Mensch also als vernunftbegabtes Wesen geschaffen wurde, muss er auch seiner Natur, d.h. der Raison, folgen. Der Raison zu folgen bedeutet gleichzeitig, gerecht zu handeln und Gottes Willen zu entsprechen. Deshalb räumt Richelieu der Raison einen so hohen Stellenwert ein, dass er fordert, Untergebene müssten dazu gebracht werden, ihr „gläubig“ zu folgen.

Richelieu war ein überaus rational denkender Mensch, der vor jeder Entscheidung das Für und Wider abgewogen hat, aber – zumindest nach Einschätzung vieler neuerer Historiker – gleichzeitig gläubiger Katholik, wenn auch kein dogmatischer. In dieser Hinsicht ist er mir, einer ebenfalls rational denkenden Katholikin, sehr sympathisch.
In anderen Hinsichten sieht die Sache wieder ganz anders aus, deshalb beschränke ich mich hier bewusst auf seinen Rationalismus. Außerdem hielt er Frauen generell – bedingt durch eigene Erfahrungen mit gewissen Regentinnen – für ziemlich irrational und impulsiv. Frauen, die sich zum Regierungsgeschäft eignen, wie Elisabeth I. von England, galten ihm als Ausnahme. Anstatt zu denken, dass es bei Frauen wie bei Männern solche gibt, die sich als Regentinnen eignen, und solche, die es nicht tun… Aber gut.

(Dieser Eintrag dient dazu, den morgigen vorzubereiten.)


Englische Eselsbrücken

18. September 2010

Anlässlich des Papstbesuches in Großbritannien war vorgestern ein Kommentar in der New York Times, der mit den folgenden Zeilen beginnt:

A side benefit of a British education used to be learning the mnemonics helpful for sifting through events on this blustery island since 1066. One ditty lists all the kings and queens, ending with the catchy “Ned, George, Ned, George, at whose death came a second Elizabeth.”

Another addresses the fate of the six wives of Henry VIII: “Divorced, beheaded, died/ Divorced, beheaded, survived.”

Der Spruch ist als Merkhilfe ja nicht schlecht! 😀

Zum Artikel: Natürlich geht es weiter mit einer kurzen Erklärung zur Abspaltung der Anglikanischen von der katholischen Kirche wegen der Entfremdung Heinrichs VIII. gegenüber seiner ersten Frau, Katharina von Aragón, die ihm keinen männlichen Thronfolger gebären konnte. Da Papst Clemens VII. Heinrichs Scheidung von Katharina ablehnte, trennte sich die Anglikanische Kirche ab 1534 von Rom – obwohl Heinrich selbst eigentlich ein zutiefst katholischer Mensch war und sogar für eine lateinische Verteidigung der sieben Sakramente von dem früheren Papst Leo X. den Ehrentitel „Defensor fidei“ (d.h. „Verteidiger des Glaubens“) bekommen hatte.

(Gut, so genau ist der Artikel nicht, einiges sind auch meine eigenen Ergänzungen – obwohl auch die nur eine grobe Zusammenfassung sind.)

Dann kommt die Überleitung, in der der Kommentator Kritik an der Unfähigkeit der katholischen Kirche zu Reformen wie der Abschaffung des Zölibats oder der Einführung des Frauenpriestertums und vor allem an fehlenden ernsthaften Entschuldigungen der Kirchenoberen für die Missbrauchsskandale übt.

Wer den Kommentar nachlesen möchte: A Pope in a Schismatic Isle


Omnias heidnisches Ritual

3. September 2010

Heute ist die neueste Ausgabe der „Raven Times“, der Fanzeitschrift der niederländischen Pagan Folk Band Omnia, in meinen Briefkasten geflattert. Omnia machen schöne, natürliche Folk-Musik und haben auch noch eine Menge Humor – ein Zitat von der Rückseite ihres Albums „Pagan Folk“ (2006): „This CD has been tested on animals; they loved it.“ Sie sind Anhänger eines von ihnen selbst „erfundenen“ heidnischen Glaubens, „Free-Paganism“, und haben in besagtem Fanbrief eines ihrer „heidnischen Rituale“ vorgestellt:

Wann immer Ihr Euch in einem Park oder in einem Wald oder irgendeinem anderen Teil der Natur inmitten von Menschen befindet, nehmt eine Papier- oder Plastiktüte mit.
Und wenn Ihr dann irgendwelchen unvermeidbaren menschlichen Müll herumliegen seht (Fast Food/Mc Donalds Verpackungen, leere Bier und Softdrink/CocaCola Dosen und all den anderen Scheiß der von dieser Wegwerfgesellschaft so produziert wird), dann hebt Ihr ihn einfach auf und sammelt ihn in Eurer Mülltüte (oder in Euren Händen, wenn Ihr den Beutel vegessen habt, wie ich manchmal) Und mit jedem Stück an nicht biologisch abbaubarem Müll, den Ihr aufhebt, tut Ihr dem wahren Geist des Lebens einen großen Gefallen, Ihr tut den Tieren und den Pflanzen einen Gefallen und wenn Ihr mal darüber nachdenkt, dann tut Ihr Euch selbst auch einen Gefallen. Meditiert während Ihr tut, über was Ihr tut, dankt der Natur, dass sie Euch diesen wundervollen Platz beschert hat und seid Euch darüber bewusst, dass dieses „Reinigungsritual“ eigentlich ein sehr starkes Gebet ist (auch wenn die meisten nackten Affen Euch hierbei nicht zustimmen würden oder Euch sogar auslachen oder mit negativen Kommentaren belegen werden), weil es für die meisten ignoranten Menschen als „stark“ gilt, ihren Scheiß einfach in die Gegend zu schmeißen und es ist eher „schwach“ sauber zu machen. Aber das macht nichts….Ihr tut es, um Mutter Natur zu danken…und wenn Du die Natur schätzt, dann schätzt sie auch Dich.

Das ist doch mal ein Ritual! 😀 Und wie auch immer man zu Paganism stehen mag – gut für die Umwelt ist das auf jeden Fall! Ich Anhängerin des Christentums werde mich das nächste Mal, wenn ich irgendwelchen Unrat in der freien Natur aufhebe, daran erinnern. 😉

Und damit ich diesmal nicht nur über die Band rede, sondern auch eine Hörprobe gebe, kann man sich an dieser Stelle Omnias wunderschöne Vertonung des großartigen Gedichts „The Raven“ von Edgar Allan Poe (1809-1849) anhören:

Die neueste Omnia-CD, „Wolf Love“, erscheint – wie „Poetry for the Poisoned“ von Kamelot – am 10. September.


Kritik der arabischen Vernunft

17. Juli 2010

Vor einiger Zeit fiel mir ein Artikel aus „Aus Politik und Zeitgeschichte“ (APuZ) 24/2010 in die Hände: ein Nachruf auf den arabischen Aufklärer Mohammed Abed al-Jabri (1936-2010), der unter anderem auf die philosophische Tradition des andalusischen Philosophen und Juristen Averroes (arabisch: Ibn Rushd, 1126-1198) zurückgreift. Sein Werk ist zudem von der poststrukturalistischen französischen Philosophie beeinflusst, insbesondere von Michel Foucaults (1926-1984) épistème-Konzept. (Episteme sind eine Art epochenspezifischer Vorstellungen, die der Wissensbildung wie ein logisches Unterbewusstsein vorauseilen.)

Für einen Menschen wie mich war der Artikel über al-Jabri hochinteressant:
Ich interessiere mich zum einen für Al Andaluz, das maurische Spanien: Von 711 bis 1492 waren Teile der Iberischen Halbinsel von Muslimen beherrscht. Juden, Christen und Muslime lebten dort lange Zeit weitgehend friedlich beisammen; gleichzeitig erlebte die Iberische Halbinsel eine kulturelle Blütezeit. Bekanntestes Beispiel hierfür ist wohl die Alhambra, ein Festungspalast in Granada:

Alhambra

Zum anderen habe ich ein starkes Interesse an Philosophie und Philosophie- bzw. Ideengeschichte. Dabei liegt einer meiner Interessensschwerpunkte auf der Philosophie der Aufklärung bzw. in der Zeit der Bürgerlichen Revolutionen in Europa. Zunehmend beginne ich auch, mich für die französische (Geschichts-)Philosophie des 20. Jahrhunderts zu interessieren, woran die Englische Literaturwissenschaft und einer meiner Dozenten in Geschichte nicht ganz unschuldig sind.

Al-Jabris vierbändiges Hauptwerk, das – in Anlehnung an Kant – „Die Kritik der arabischen Vernunft“ heißt, soll voraussichtlich dieses Jahr in englischer Übersetzung erscheinen. Auf Deutsch ist bislang eine Einführung erschienen (Mohammed Abed al-Jabri: Kritik der arabischen Vernunft. Die Einführung, Berlin 2009). Drei zentrale Thesen aus diesem Werk sind:

  • Es gibt drei Wissensordnungen, die die Erkenntnis im islamisch geprägten Kulturraum vorstrukturieren: Zum ersten die Wissenschaft der religiösen Auslegung, in der Unbekanntes stets dem bereits Bekannten innerhalb des offenbarten Textes untergeordnet wird (bayan). Zweitens die naturwissenschaftliche Beweisführung, die eine Ableitung aus empirischen Daten ist und deren Pendant im christlichen Europa die Aufklärung und die naturwissenschaftlich geprägte Moderne ausgelöst hat (burhan). Drittens die mystische – und aus al-Jabris Sicht irrationale – Inspiration und Versenkung (irfan). Das zentrale Prinzip in diesen drei Bereichen ist al-Jabri zufolge die Nachahmung. Sie habe zur Stagnation des arabischen Denkens geführt.
  • Die Quellen des Rechts in der arabischen Welt sind der Koran, die Sunna (d.h. das Leben und Vorbild des Propheten Mohammed), der Analogieschluss (qiyas), der Konsens der Gelehrten (jimaa) und die freie Rechtsfindung eines Gelehrten (qiyas).
    In die Zeit des Aufstiegs der abbasidischen Dynastie (749-1258) in Arabien fällt das sogenannte „Zeitalter der Niederschrift“ (asr al-tadwin), in dem die Sunna kodifiziert wurde und die vier wichtigsten Rechtsschulen des Islam entstanden: Hanafiten, Malikiten, Schafiten und Hanbaliten. Mit der Kanonisierung wurde die Möglichkeit der freien Entscheidungsfindung durch Einzelne allerdings zunehmend begrenzt. Grammatik, Recht, Mystik und Rhetorik, insbesondere aber Theologie und Philosophie waren im arabisch-islamischen Kulturraum zudem nie unabhängig von der Politik. Al-Jabri arbeitet nun den ideologischen Anteil von Rechtsfindung, Geschichtsschreibung und Philosophie im Zeitalter der Kanonisierung heraus.
  • Er entwickelt die These, wonach das aristotelische Denken in Al Andalus und Nordafrika durch Ibn Rushd (Averroes) wiedergeboren worden sei. Durch den Averroismus hat laut al-Jabri ein epistemologischer (= „wissenschaftsphilosophischer“ bzw. „erkenntnistheoretischer“) Bruch mit den theoretischen Denkformen stattgefunden, die im muslimischen Orient vorherrschend seien.

Ich würde mich freuen, wenn ich bei dem einen oder anderen Leser dieses kleinen Blogs ein Interesse an der islamisch-arabischen aufklärerischen Philosophie wecken könnte – denn im Gegensatz zur landläufigen „westlichen“ Meinung gab und gibt es islamisches Denken im Geiste der Aufklärung, auch wenn dieses Denken seine Wirkmächtigkeit ironischerweise insbesondere im christlichen Kulturraum entfaltete.

Den einführenden Aufsatz in al-Jabris Denken aus APuZ, den ich eingangs erwähnt habe, kann man sich unter http://www.bpb.de/publikationen/X6OD66,0,Arabische_Welt.html kostenlos als PDF herunterladen oder ihn online lesen.

Weiterführende Links:
http://de.qantara.de/webcom/show_article.php/_c-469/_nr-1012/i.html (ein Porträt al-Jabris von Sonja Hegasy)
http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/kritik/972358/ (das Deutschlandradio Kultur zu al-Jabri)
http://begleitschreiben.twoday.net/stories/5710009/ (eher kritische Rezension von Gregor Keuschnig)
http://kritikderarabischenvernunft.wordpress.com (Blog des Philosophen Reginald Grünenberg zur deutschen Ausgabe; Grünenberg lieferte gemeinsam mit Sonja Hegasy das Vorwort für die deutsche Einführung)


Lessing-Portal

24. Juni 2009

Seit ein paar Tagen gibt es eine Internetseite, die sich mit Leben und Werk des Schriftstellers und Vertreters der Aufklärung Gotthold Ephraim Lessing (1729-1781) beschäftigt. Sie versteht sich als Angebot an alle Literaturwissenschaftler, Lessing-Interessierte und Forscher zur Epoche der Aufklärung. Neben Texten Lessings, wissenschaftlichen Hilfsmitteln und digitalen Editionen seiner sämtlichen Übersetzungen finden sich auf der Seite auch Diskussionsbeiträge und biografische Informationen.

Vielen dürfte Lessing vor allem als Erfinder des Bürgerlichen Trauerspiels ein Begriff sein. Er schaffte die Ständeklausel ab, die vor allem Johann Christoph Gottsched (1700-1766) vertreten hatte. Nach ihr sollten in einer Tragödie nur Adelige dargestellt werden. Hintergrund ist die sogenannte „tragische Fallhöhe“, wonach das Scheitern bzw. der Untergang einer hochgestellten, „edlen“ Persönlichkeit beim Theaterbesucher ungleich größere Wirkung erzeuget als der weniger tiefe Fall eines Menschen aus dem Volk. Lessing lehnte diese Sichtweise ab und stellte in seinen Trauerspielen Scheitern bzw. Untergang von Personen aus dem Bürgertum dar. (Einen Schritt weiter ging dann Georg Büchner (1813-1837), der in seinem Dramenfragment „Woyzeck“ das Scheitern von Personen des 4. Standes – also des „Proletariats“ – darstellte.)

Von großer Bedeutung ist vor allem Lessings Ideendrama (bzw. „dramatisches Gedicht“, wie Lessing es selbst nannte) „Nathan der Weise“, in dessen Zentrum die „Ringparabel“ steht. Diese stellt die drei monotheistischen Religionen Judentum, Christentum und Islam als gleichberechtigt dar.
Hintergrund ist der Fragmentenstreit, eine theologische Diskussion zwischen Lessing als Repräsentant der Aufklärung und dem Hamburger Hauptpastor Johann Melchior Goeze (1717-1786) als Repräsentant der orthodoxen lutherischen Theologie. Im Zuge dieses Streits erschienen auch die ersten 53 Paragraphen von Lessings religionsphilosophischem Hauptwerk „Die Erziehung des Menschengeschlechts“.
Der Fragmentenstreit führte sogar zu einem Publikationsverbot Lessings auf dem Gebiet der Theologie, das dieser umging, indem er die Diskussion in Form eines im Blankvers (5-hebiger Jambus, ungereimt) verfassten Dramas – „Nathan“ – fortsetzte.

Aber nun genug der Vorrede – hier ist der Link zum Lessing-Portal: http://lessing-portal.hab.de/