Die Sachsen-AfD, Preußen und der Föderalismus

6. September 2014

Normalerweise gehöre ich nicht zu denjenigen FDP-Anhängern, die glauben, sie müssten der AfD irgendeine besondere Beachtung schenken. Die AfD vertritt zwar zum Teil wirtschaftspolitische Positionen, die auch die FDP für richtig hält, aber was gesellschaftliche Positionen betrifft, liegen doch Welten zwischen den Rechtskonservativen und den Liberalen. Aber genau darum – weil ich gesellschaftspolitisch liberal denke (und weil ich Geschichte studiere) – ist mir gestern so der Hut hochgegangen, als Christian Ehring in der heute-show diesen Auszug aus dem sächsischen AfD-Wahlprogramm vorgelesen hat:

„Schul- und insbesondere Geschichtsunterricht soll nicht nur ein vertieftes Verständnis für das historische Gewordensein der eigenen Nationalidentität, sondern auch ein positives Identitätsgefühl vermitteln. Wir wollen einen deutlichen Schwerpunkt auf das 19. Jahrhundert und die Befreiungskriege gesetzt wissen. Die Grundlagen unseres Staates wurden in den Jahren 1813, 1848 und 1871 gelegt.“
– AfD-Wahlprogramm Sachsen, Forderung IV.3.1. Aufwertung und Umgewichtung des Geschichtsunterrichts

Warum ist das gesellschaftspolitisch fragwürdig?

Weil die AfD mit dieser Forderung letztlich dazu beitragen will, das nationalistische Geschichtsbild des Deutschen Kaiserreichs (1871-1918) fortzuschreiben. Danach sei das Heilige Römische Reich, das 1806 aufgelöst wurde, im Grunde schon nach dem Ende des Dreißigjährigen Kriegs (Westfälischer Frieden 1648) dem Untergang geweiht gewesen. Erst durch den Aufstieg Brandenburg-Preußens im späten 17. und 18. Jahrhundert (Friedrich Wilhelm I., Friedrich II.) und die preußischen Reichseinheitsbestrebungen des 19. Jahrhunderts hätten die deutschen Lande wieder eine Zukunftsperspektive erhalten: den expansiven preußischen Militärstaat.

Dabei wird dieses preußisch geprägte Geschichtsverständnis des 19. und frühen 20. Jahrhunderts von der deutschen Geschichtsforschung schon seit den 1950er und 1960er Jahren nicht mehr geteilt. Stattdessen wird betont, dass das Heilige Römische Reich keineswegs schon nach 1648 nicht mehr funktionierte. Erst im Verlauf des 18. Jahrhunderts wurden die Reichsinstitutionen zunehmend lahmgelegt – und zwar nicht zuletzt durch die Blockadepolitik Brandenburg-Preußens im Reichstag: Streitfragen wurden von Brandenburg-Preußen seit Regierungsantritt Friedrichs II. von Preußen (1740) zunehmend zu Religionsfragen erklärt. Seit dem Westfälischen Frieden wurden diese getrennt von einem katholischen Gremium (Corpus Catholicorum, mit den Habsburgern) und einem evangelischen Gremium (Corpus Evangelicorum, mit Brandenburg-Preußen) beraten. Ein Beschluss kam bei dieser sogenannten itio in partes nur zustande, wenn sich die beiden Corpora einigten – was selten geschah. Fazit: Der Reichstag war faktisch ausmanövriert.

Warum das Ganze? Weil die größten Stände des Heiligen Römischen Reichs – allen voran Brandenburg-Preußen, aber auch das Haus Habsburg – sich zunehmend aus dem Reichsverband lösen wollten. Im Gegensatz zu den kleineren Reichsständen waren sie auf den Schutz durch das Reich nicht angewiesen und trachteten immer mehr danach, ihre eigene Landesherrschaft auszubauen und selbst möglichst stark zu werden.

Und nun muss man sich einfach ganz grundlegend die Frage stellen, ob man wollen kann, dass Kinder in der Schule lernen, der militaristische preußische Staat sei sozusagen das Vorbild für das heutige Deutschland gewesen. Ich möchte das nicht; es erzieht im Grunde zum Nationalismus und ist für Nicht-„Preußen“ eigentlich auch wenig ansprechend. Das kann doch politisch von keiner demokratischen Partei gewollt sein!

Vielleicht könnte stattdessen das Heilige Römische Reich mit seiner quasi-föderalen Struktur (Reichsstände, Reichskreise als Verteidigungsstruktur, Reichstag für untereinander abgestimmte Politik) stärker in den Mittelpunkt rücken. Dann würde auch die heutige föderale Struktur mit Bund und Ländern nicht als etwas Defizitäres erscheinen, als das ihn das preußische Geschichtsbild letztlich darstellt. Stattdessen würde sich zeigen, dass der heutige deutsche Föderalismus etwas in Mittelalter und Früher Neuzeit historisch Gewachsenes ist, das sich über alle Krisen und Kriege hinweg doch als erstaunlich funktionsfähig und langlebig erwiesen hat. Und vielleicht wäre das auch ein Vorbild für die EU: Wie wär’s mit einem EU-Parlament, das eine EU-Regierung wählt, und einer Länderkammer mit den Regierungen der einzelnen Staaten? Mit klar geregelten Zuständigkeiten? (O.k., dass die AfD das vielleicht nicht unbedingt möchte, kann ich mir denken. 😀 Ich fänd’s dagegen gut. Jedenfalls viel besser, als wenn die EU-Kommission von den Staatschefs bestimmt wird und das EU-Parlament im Grunde nur noch „abnicken“ darf. Denn das sehe ich als Demokratiedefizit.)

Als Einstiegsliteratur zu dem, was ich gerade geschrieben habe, möchte ich Franz Brendle, Das konfessionelle Zeitalter, Berlin 2010 (hier v.a. S. 57), und Albert Funk, Föderalismus in Deutschland, Bonn 2010, nennen. (Obwohl Funk die religiöse Dimension z.B. des Dreißigjährigen Kriegs mitunter unterschätzt. Wie bei Brendle nachzulesen ist, war dieser nicht nur ein verfassungspolitischer, sondern eben auch ein religiöser Konflikt.)


Bundestagswahl 2013 – Zur FDP

22. September 2013

So. Ich hatte mir zuerst überlegt, das nun Folgende auf Facebook zu posten, was ich vielleicht auch noch in komprimierter Form tun werde, aber ich muss jetzt einfach mal was loswerden, und das wird für Facebook, glaube ich, zu lang und zu unstrukturiert. Ich bin ja jemand, der lieber fünfmal darüber nachdenkt, was er so in die Welt hinausposaunt; vielleicht blogge ich auch deshalb so selten. Aber das muss jetzt mal sein, und ich werde auch nichts von dem Folgenden zurücknehmen müssen, weil es aus tiefster Seele kommt.

Wie ich schon an anderer Stelle geschrieben habe, bin ich überzeugte Liberale. Und ja, ich habe bisher immer mit beiden Stimmen FDP gewählt; auch diesmal. (Wenn auch nicht heute, da per Briefwahl. – Eine Ausnahme sind die Kommunalwahlen, bei denen ich auch Kandidaten anderer Parteien wähle, wenn ich deren Arbeit schätze.) Ich kann mich natürlich irren – und ich hoffe das Gegenteil! -, aber ich gehe nicht davon aus, dass es die FDP noch in den Bundestag schaffen wird.

Meine Wünsche an die FDP sind:
1. Endlich ein ausgewogenes Verhältnis zwischen politischer Freiheit (d.h. Menschen- und Bürgerrechten) einerseits und wirtschaftlicher Freiheit andererseits.
2. Keine Zweitstimmenkampagnen mehr! Never ever again!

Zu 1) Ich bin linksliberal und würde mich auch so bezeichnen. Das bedeutet aber nicht, dass ich möchte, dass die FDP eine linksliberale Partei wird. Ich möchte, dass die FDP wieder eine Partei wird, für die Menschen- & Bürgerrechte und Wirtschaft genau gleich wichtig sind und die auch beide Themen gleichrangig behandelt. Die überzeugend vermitteln kann, dass wirtschaftliche und politische Freiheit zwei Seiten einer Medaille sind, wie es übrigens auch Guido Westerwelle in seiner Zeit als FDP-Vorsitzender immer in Parteitagsreden betont hat – und der ist nun wirklich niemand, der im Ruch des Linksliberalen steht. Im Moment ist das nicht der Fall. Die einzige wirklich prominente „Bürgerrechtsliberale“ ist Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Die FDP fokussiert auf die Wirtschaftspolitik und vergisst, dass man nur über dieses Thema niemanden für die liberale Sache begeistern kann. Dadurch gewinnt man vielleicht ein paar wirtschaftsinteressierte Wähler, aber die können auch finden, dass dieses ihr Interesse genauso gut von Parteien wie der CDU oder der AfD vertreten wird. Die FDP muss wieder zeigen können, dass das Wort „Freiheit“ für sie nicht nur eine Worthülse ist – und dass sie, verdammt noch eins, die entsprechenden Bürgerrechtsthemen ja durchaus in ihrem Programm hat!

Und noch ein Wort zur AfD: Meiner Einschätzung nach wählen diese Partei
a) Personen, die im Prinzip die FDP wählen würden – aber nur wegen der Wirtschaft. Bürgerrechte sind diesen Personen egal; „Ausländer“ wollen sie nicht.
b) Personen, die im Prinzip die Linke wählen würden – aber nur wegen deren Kritik an internationaler Vernetzung z.B. in Bezug auf NATO-Einsätze. Dass der Sozialismus von seiner Genese her eine internationale Idee ist, passt ihnen dagegen nicht. Sie sind gegen die europäische Vernetzung, gegen den Euro und – gegen „Ausländer“.
Für mich ist es nicht zu fassen, dass es so viele Menschen geben soll, die so denken und wählen.

Zu 2) Vor nicht mal einer Woche habe ich mit einer Person gesprochen, die ich persönlich sehr schätze und die meine politische Einstellung kennt. Sie [„sie“ bezieht sich übrigens auf „die Person“ und ist kein Hinweis auf das Geschlecht derselben] fragte mich, was ich von der Zweitstimmenkampagne der FDP halte. Ich seufzte ein wenig resigniert und sagte „ja mei“; eine Überraschung war das schließlich nicht. Daraufhin regte sich die Person auf und sagte mir, dass genau dieses Verhalten (also nicht meine Reaktion, sondern die Zweitstimmenkampagne 😉 ) die FDP für sie unwählbar mache. Was sollte ich dazu schon groß sagen? „Sie haben verdammt recht; diese Zweitstimmenkampagnen gehen mir auch mächtig auf den Senkel, aber es gibt dummerweise keine Partei, die meine Überzeugungen mehr vertritt als die FDP, sodass keine andere für mich wählbar ist“? So traurig es ist, so wahr ist es auch!

Was ich dann gesagt habe, war, dass es auch aus meiner Sicht ein Fehler ist, dass sich die FDP so einseitig an die CDU bindet und dass sie für eine Ampelkoalition ebenso offen sein müsste. (Am liebsten wäre mir zwar eine sozialliberale Koalition aus SPD und FDP, aber da werden mir nicht nur die Grünen-Anhänger sagen, dass ich da mal schön weiterträumen soll…)

Die FDP muss endlich verstehen, dass sie Zweitstimmenkampagnen nicht weiterbringen. Niemand wird die FDP wählen, weil er Angela Merkel will. Ich übrigens auch nicht. Ich will Angela Merkel ja gar nicht! Ich finde die Frau furchtbar, sie sitzt alles aus wie dereinst Kohl, hat keine eigenen Ideen und anscheinend nicht mal unverbrüchliche Überzeugungen. Keine klare Kante, ganz im Gegensatz übrigens zu ihrem Herausforderer Steinbrück. Der hat sich zwar am Anfang des Wahlkampfs angestellt wie der berühmte Elefant im Porzellanladen, aber gegen Ende vieles wieder wettgemacht. Klar, man sollte einfach wissen, dass man Sachen, die zwar sachlich zutreffend sind – im Vergleich zu Managergehältern sind Politikergehälter niedrig, auch wenn das eher gegen die Managergehälter spricht als gegen die Politkergehälter – einfach nicht sagt, wenn das gleichbedeutend damit ist, dass man implizit eine Gehaltserhöhung für sich selbst fordert. Aber dass Steinbrück jemand ist, dem man abnimmt, dass er sagt, was er denkt (auch wenn er in diesem Fall noch mal darüber hätte nachdenken sollen, was er da sagt), finde ich doch sehr sympathisch.

Wie schon gesagt, Zweitstimmenkampagnen bringen die FDP nicht weiter. Ich dachte eigentlich, das zumindest hätte Rösler verstanden, als er FDP-Vorsitzender wurde. Denn ich wähle die FDP, weil ich die FDP will, und ganz bestimmt nicht, weil ich Angela Merkel will. Und ich würde mit meiner Erststimme niemals, wirklich niemals die CSU wählen! Never ever! Dann schon eher die SPD. Sollte die FDP ihren liberalen Kompass jetzt nach der Wahl nicht neu ausrichten oder gar ihre Bürgerrechtspositionen noch weiter schwächen, mache ich bei der nächsten Bundestagswahl mein persönliches Stimmensplitting und gebe meine Erststimme der SPD. (Auch wenn das dem entsprechenden SPD-Kandidaten bzw. der SPD-Kandidatin dann vermutlich auch nicht viel bringt; ich bin schließlich aus Bayern.)

Aber ich wähle die FDP, weil ich die FDP will. Nicht, weil ich eine Koalition der FDP mit der Partei X will. Dass die FDP nicht allein regieren wird und mit ihren eigenen Zielen in einer Koalition Abstriche machen muss – geschenkt. Aber, bitteschön, doch nicht so viele Abstriche wie in den vergangenen vier Jahren! Die FDP hätte diesen Koalitionsvertrag nie unterschreiben dürfen! Aber Angela Merkel und Wolfgang Schäuble haben darauf gesetzt, dass die FDP sich damals verpflichtet fühlte, zu „liefern“ – und gewonnen. Spiel, Satz und – wie man heute eindrucksvoll gesehen hat – Sieg.

Und damit gute Nacht. Auch gute Nacht, FDP. Ich wünsche Dir, dass Du wieder aufwachst. Die Chancen dazu trägst Du in Dir, auch wenn es für Dich jetzt schwieriger wird denn je.