Donna W. Cross
Genre: Historischer Roman
Klappentext:
Die ungewöhnlichste Frau des Mittelalters
Dem Mädchen Johanna gelingt, was anderen verwehrt blieb: Sie erhält eine heilkundliche Ausbildung. Doch sie weiß, daß sie als gelehrte Frau kaum überleben wird. Als Mönch verkleidet, tritt sie daher ins Kloster Fulda ein. Später gelangt sie in Rom als Leibarzt des Papstes zu großer Berühmtheit – und wird schließlich auf den heiligen Thron gewählt.
„Donna W. Cross erzählt Johannas Geschichte als spannendes und glaubwürdiges Beispiel einer unglaublichen Emanzipationsgeschichte.“
BRIGITTE
Inhalt:
Im neunten Jahrhundert nach Christus haben Frauen keine Rechte. Sie gelten als Besitz ihres Mannes und haben selbst nicht das Recht auf Eigentum, Bildung oder Ähnliches.
In dieser finsteren Zeit wird Johanna als Tochter einer bekehrten Sächsin und eines ärmlichen Dorfpriesters in Ingelheim geboren. Sie muss miterleben, wie ihr Vater in blinder Aggression ihre Mutter schlägt und quält, weil diese insgeheim an ihren alten Göttern, wie Thor oder Wotan, festhält. Auch die Tochter bekommt die Brutalität des Dorfpriesters immer wieder zu spüren.
Als ihr älterer Bruder Matthias, Stolz und Hoffnung seines Vaters auf ein Priesteramt in der Familie, im Alter von zwölf Jahren stirbt, macht der grausame Mann Johanna dafür verantwortlich: Sie hat sich seiner Meinung nach gegen den Willen Gottes gestellt, indem sie die für eine Frau unerhörte Fähigkeit des Lesens und Schreibens erlernt hat. Matthias hatte es ihr auf ihr langes Drängen hin beigebracht.
Trotz des Widerwillens ihres Vaters erhält Johanna Unterricht bei dem griechischen Gelehrten und Geistlichen Aeskulapius, der ihr neben Latein auch Griechisch beibringt, das im Frankenreich nur von wenigen Gelehrten beherrscht wird. Ihr Vater erlaubt den Unterricht nur, weil er sich davon Vorteile für seinen zweiten Sohn Johannes erhofft, der Matthias’ Platz einnehmen und ein Priesteramt erreichen soll. Doch Johannes lernt sehr schwer und würde viel lieber Krieger werden, statt sich mühsam mit den fremden Sprachen und der Schrift abzuquälen.
Nach einiger Zeit – Aeskulapius ist nach Griechenland zurückgekehrt – kommt ein Bote nach Ingelheim, der Johanna auf Aeskulapius’ Ersuchen an die Domschule in Dorstadt bringen soll. Doch ihr Vater behauptet, es handle sich um eine Verwechslung und der Bote solle stattdessen Johannes nach Dorstadt bringen. Auch ihre Mutter hilft Johanna nicht, denn sie will die geliebte Tochter bei sich behalten und durch sie den alten Glauben weiterleben lassen. So verlässt Johanna in der Nacht für immer ihr Zuhause und macht sich selbst auf den Weg nach Dorstadt. Dort werden sowohl sie als auch ihr Bruder an die Domschule aufgenommen. Johannes stellt sich jedoch zusammen mit den anderen Schülern und unterstützt durch den Lehrer Odo gegen Johanna und quält sie, da die Jungen es nicht ertragen können, dass ein Mädchen lernt und obendrein noch klüger ist als sie. Nur der Ritter Gerold, auf dessen Gut sie wohnen darf, stellt sich auf ihre Seite. Zwischen Gerold und Johanna entwickelt sich eine Freundschaft, die später zu Liebe wird. Um die gegenseitigen Gefühle auszulöschen – denn Gerold ist verheiratet – verreist er für einige Zeit. Doch während dieser Reise wird er sich bewusst, wie sehr er Johanna liebt. Bei seiner Rückkehr ist er entschlossen, sich von seiner Frau zu trennen und Johanna zu heiraten.
Inzwischen haben jedoch Normannen Dorstadt überfallen und alle Bewohner getötet. Nur Johanna konnte sich vor ihnen verstecken. Ihr wird endgültig bewusst, dass gelehrte Frauen wie sie in dieser Welt nicht überleben können. Deshalb nimmt sie die Identität ihres bei dem Überfall getöteten Bruders Johannes an und tritt als Mönch Johannes Anglicus dem Kloster Fulda bei. Dort setzt sie ihre Studien fort und erhält eine heilkundliche Ausbildung.
Einige Jahre später pilgert sie nach Rom, wo sie durch ihre medizinischen Kenntnisse auffällt, die viel weiter gehen als die der römischen Ärzteschaft. So erreicht sie mit der Zeit eine Stellung als Leibarzt der Päpste Sergius und Leo. Nach der Ermordung des Letzteren wird schließlich sie auf den Heiligen Stuhl gewählt.
Johannas faszinierende, spannend erzählte Geschichte zieht den Leser sofort in den Bann. Er fühlt mit der wissbegierigen Johanna und leidet mit ihr, wenn wieder einmal ein Mann allzu deutlich zeigt, dass er gelehrte Frauen für gotteslästerlich hält. Das Buch ist sehr auf die Hauptperson fokussiert, die man nur für ihre Entschlossenheit, Zielstrebigkeit und nicht zuletzt Intelligenz bewundern kann. Leider hat man dadurch manchmal das Gefühl, andere Personen nicht genau genug kennenzulernen. Doch dies ist der einzige Schwachpunkt dieses Buches, das man wirklich jedem ans Herz legen kann, der (oder die ;-)) sich für Geschichte oder die Rolle der Frau interessiert. Es ist außerdem so gut geschrieben, dass man immer weiterlesen möchte und gespannt darauf wartet, was als Nächstes passieren wird, selbst wenn man – wie ich – schon einmal von Johanna gehört hat und weiß, wie das Buch enden wird.
Interessant ist außerdem das Nachwort, in dem die Autorin das Für und Wider der Existenz einer Päpstin Johanna abwägt. Denn diese ist von der katholischen Kirche (natürlich) nicht anerkannt. Die Autorin argumentiert (ebenfalls natürlich) für die Existenz der Päpstin. Unabhängig von einer historischen Bewertung finde ich den Gedanken faszinierend, dass es sie gegeben haben könnte – und genau dieser Gedanke macht wohl auch einen Großteil der Faszination dieses Buches aus.
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Leseprobe (S. 115-117, vor Johannas Aufnahme in die Domschule):
Odo sah aus, als hätte er einen kräftigen Schluck Essig getrunken. „Wie es scheint, besitzt das Mädchen einiges an Wissen über die orthodoxe Theologie. Aber dieses Wissen als solches beweist noch gar nichts.“ Er sprach in herablassendem Tonfall, als würde er über ein anderes Kind reden. „Bei einigen Frauen ist – wie auch bei manchen Tieren – die Fähigkeit zur Nachahmung besonders hoch entwickelt, und dies erlaubt es ihnen, sich die Worte der Männer einzuprägen, sie zu wiederholen und auf diese Weise den Anschein der Gelehrsamkeit zu erwecken. Aber diese Fähigkeit zur Nachahmung darf nicht mit der wahren Vernunft verwechselt werden, die ihrem ganzen Wesen nach eine rein männliche Eigenschaft ist. Denn, wie allgemein bekannt“, Odos Stimme wurde fester und bekam einen autoritären, herrischen Beiklang, denn nun bewegte er sich auf vertrautem Boden, „ist die niedere Stellung der Frau gegenüber dem Manne angeboren.“
„Warum?“ Johanna kam das Wort über die Lippen, noch ehe ihr bewußt geworden war, überhaupt etwas gesagt zu haben.
Odos schmallippiger Mund verzog. sich zu einem häßlichen Lächeln. Er sah aus wie der Fuchs, der das Kaninchen in die Enge getrieben hat. „Deine Unwissenheit, Kind, offenbart sich schon in dieser Frage. Denn der heilige Paulus selbst hat es als unumstößliche Wahrheit befunden, daß Frauen dem Manne unterlegen sind, was den körperlichen Entwurf, die Rangfolge und die Willenskraft anbelangt.“
„Was den körperlichen Entwurf, die Rangfolge und die Willenskraft anbelangt?“ wiederholte Johanna.
„Jaaa.“ Odo sprach langsam und betont, als würde er zu einem geistig zurückgebliebenen Kind reden. „Was den körperlichen Entwurf angeht, weil Gott den Adam zuerst schuf und die Eva später; was die Rangfolge betrifft, weil die Eva erschaffen wurde, um dem Adam als Gesellin und Gespielin zu dienen, und was die Willenskraft anbelangt, weil die Eva der Verführung durch den Teufel nicht widerstehen konnte und von dem Apfel aß.“
Die an den Tischen Versammelten nickten zustimmend. Auf dem Gesicht des Bischofs lag ein ernster Ausdruck. Dem rothaarigen Ritter, der neben ihm saß, waren seine Gedanken nicht anzusehen.
Odo grinste hämisch. Johanna verspürte ein Gefühl tiefer Abneigung gegenüber diesem fuchsgesichtigen Mann. Für einen Augenblick stand sie schweigend da und zupfte sich an der Nase.
„Wie kann“, sagte sie schließlich, „die Frau dem Mann im körperlichen Entwurf unterlegen sein? Denn weil Gott sie als zweite schuf, hat er sie aus Adams Rippe gemacht, wohingegen Adam aus feuchtem Lehm geknetet wurde.“
An einigen Tischen im hinteren Teil der Halle erklang beifälliges Kichern.
„Und was die Rangfolge angeht“, die Worte sprudelten aus Johanna hervor, während ihr der Kopf vor Gedanken schwirrte, als sie die logische Kette ihrer Argumentation zusammenfügte, „sollte die Frau dem Mann vorgezogen werden, weil Eva innerhalb des Paradieses erschaffen wurde, Adam aber außerhalb.“
Erneut wurden Gemurmel und Gekicher unter den Zuhörern laut. Das Grinsen auf Odos Gesicht verrutschte leicht.
Johanna fand ihre Argumentationskette zu interessant, als dass sie groß darüber nachgedacht hätte, ob es besser gewesen wäre, den Mund zu halten. „Und was die Willenskraft betrifft, sollte die Frau als dem Mannüberlegen betrachtet werden“ – das war ein starkes Stück; aber nun gab es kein Zurück mehr–, „denn Eva aß aus Liebe zum Wissen und zum Lernen von dem Apfel, während Adam nur davon aß, weil Eva ihn gefragt hat, ob er ein Stück haben will.“
Schockiertes Schweigen im Saal. Odos blasse Lippen waren vor Zorn fest zusammengepreßt. Der Bischof starrte Johanna an, als könne er nicht glauben, was er da gerade gehört hatte.
Sie war zu weit gegangen.
Manche Gedanken sind gefährlich.
Aeskulapius hatte Johanna gewarnt, doch sie hatte sich so sehr in das Streitgespräch verwickeln lassen, daß sie den Rat ihres Lehrers vergessen hatte. Aber dieser Mann, dieser Odo, war so sehr von sich selbst eingenommen und so versessen darauf, sie, das kleine Mädchen, vor dem Bischof zu demütigen –, daß sie nicht hatte an sich halten können. Johanna wußte, daß sie nun ihre Chance vertan hatte, auf die Domschule aufgenommen zu werden, doch sie war fest entschlossen, diesem widerlichen kleinen Mann nicht die Genugtuung zu verschaffen, ihren Schmerz und Kummer genießen zu können. Mit emporgerecktem Kinn stand Johanna vor dem hohen Tisch, und in ihren Augen funkelte Trotz.